: Auch DSU-Fraktion will Diestel kippen
■ Große Mehrheit der DSU-Fraktion in der Volkskammer fordert den Innenminister zum Rücktritt auf / Stasi-Politik sei „parteischädigendes Verhalten“ / Diestel bei seiner Rückkehr aus Moskau: „Bleibe im Amt, so Gott es will“ / Nachts Treffen mit Ministerpräsident de Maiziere
Berlin (ap/adn) - Der seit Tagen mit Kritik überschüttete Innenminister Peter-Michael Diestel hat jetzt auch den Rückhalt der Volkskammerfraktion seiner eigenen Partei verloren. Die DSU-Fraktion forderte ihn am Dienstag in einer auch in West-Berlin verbreiteten Erklärung zum Rücktritt auf. Die Fraktion begründete ihre Entscheidung mit dem Vorwurf des „parteischädigenden Verhaltens“.
Diestel hat in fast allen politischen Lagern Unmut erregt, weil er ehemalige Staatssicherheitsmitglieder mit Polizeiaufgaben betraut hat und den Ex-Geheimdienstchef Markus Wolf als Berater heranziehen wollte. Er deutete in einer ersten Reaktion an, daß er nicht die Absicht habe, zurückzutreten.
„Mit großer Mehrheit“ entzog die DSU-Fraktion nach eigenen Angaben ihrem Minister und stellvertretenden Ministerpräsidenten das Vertrauen. Nach Informationen von 'adn‘ stimmten 15 von 19 DSU-Parlamentariern gegen ihn.
Bei seiner gestrigen Rückkehr aus Moskau, wo er mit seinem sowjetischen Amtskollegen Wadim Bakatin konferiert hatte, zeigte Diestel sich vor Journalisten „sehr überrascht und sehr bewegt“ über den Beschluß seiner Fraktion. Er wolle mit ihr über dieses Problem sprechen. Noch in der vergangenen Woche hätten Fraktion und Parteivorstand ihm ihre Unterstützung für seine Politik zugesagt.
Er sagte 'adn‘ zu den bis dahin veröffentlichten Angriffen auf ihn, er wolle im Amt bleiben, „hundertprozentig, wenn der liebe Gott das will“. Der Beschluß der DSU-Fraktion war ihm offensichtlich noch nicht bekannt.
Nach Meinung Diestels resultiert die Rücktrittsforderung der DSU-Fraktion aus einer „Kampagne“ gegen seinen neuen Staatssekretär Peter Müller, den früheren Polizeipräsidenten von Karl-Marx-Stadt. Müller sei vorgeworfen worden, Tausende Stasi-Leute einstellen zu wollen. Der Staatssekretär hat Diestel zufolge inzwischen darum ersucht, von seinen Aufgaben freigestellt zu werden. Er habe zugleich aber versichert, daß die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht der Wahrheit entsprächen.
Die SPD-Fraktion der Volkskammer prüfte bereits in der letzten Woche, ob sie gegen den DSU-Politiker einen Mißtrauensantrag stellen soll. Sie warf dem Minister vor, es entstehe der Eindruck, als wolle „Herr Diestel nicht die kriminellen Aktivitäten des früheren Staatssicherheitsdienstes und des SED-Parteiapparates aufdecken, sondern sie vertuschen“. Nach Angaben des Ministeriums sind zur Zeit 2.350 ehemalige Stasi-Mitarbeiter im Hause Diestels beschäftigt. Sie seien allerdings bereits vor der Amtsübernahme des DSU-Politikers eingestellt worden. Das Thema Wolf sei für ihn inzwischen erledigt, sagte der Minister gestern abend.
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