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Faszinierende Feinheiten

■ Letzten Montag bei „Jazz im Zentrum“: Vortrag über und Jazz aus der UdSSR

Vladimir Feiertag ist die graue Eminenz der sowjetischen Jazzszene. Seit deren Anfängen in den 50ern ist er in der Szene aktiv, zuerst als Musiker, später als Journalist, Musiklehrer und Promoter. Heute ist er einer der Direktoren der sowjetischen Jazz-Föderation, in der MusikerInnen und VeranstalterInnen organisiert sind. In einer knappen Stunde gab er den wenigen ZuhörerInnen einen informativen wie kurzweiligen Überblick über die Entwicklung des sowjetischen Jazz mit sarkastischen Anmerkungen zur Kulturpolitik der UdSSR.

Er verdeutlichte zu Beginn, daß Aufführungs-und Rezeptionsbedingungen des Jazz in der SU sich in enger Abhängigkeit von außen-und innenpolitischen Verhältnissen entwickelt hätten. Als Feiertag beispielsweise in den 50ern an einem TV-Feature arbeitete, wurde ihm untersagt, den Namen Glenn Millers zu erwähnen, da der Amerikaner sei. Von Dizzy Gillespie allerdings durfte die Rede sein, weil der Zensor diesen aufgrund seines Namens für einen Italiener hielt.

In den letzten Jahren hat sich die Situation des sowjetischen Jazz stark verändert. Heute können eine ganze Reihe von Jazzern (auch Freejazzer) von ihrer Mu

sik leben. Eine rege Festivalszene und kleinere Jazzclubs sind entstanden. Die Möglichkeiten internationaler Kontakte haben sich ebenfalls verbessert. Auch das Sponsoring hat inzwischen in der UdSSR Einzug gehalten. Die selbstständig gewordenen Staatsbetriebe fördern Festivals und Konzerten, wofür allerdings die MusikerInnen oft in T-Shirts mit Firmen -Logo auftreten müssen. Ein großes Problem bleibt die Veröffentlichung von Platten, die Einspielung ist laut Feiertag relativ unproblematisch, aber meist vergeht ein Jahr zwischen Aufnahme und Veröffentlichung.

Auch das „Leningrad Duo“ bot dafür ein Beispiel. Vyacheslav Gayvronsky (tp) und Vladimir Volkov (b, Stimme) spielen inzwischen seit 10 Jahren zusammen, haben bisher lediglich zwei Platten veröffentlicht. Gayvoronsky und Volkov pflegen einen feingesponnen, in weiten Teilen verhalten melodiösen Kammerjazz, der sich v.a. durch seinen unangestrengt humorvollen Stil auszeichnet. Gayvoronski bevorzugte auf seiner Konzerttrompete (mit Zylindermaschine) einen leicht verschwommenen, spuckigen Ansatz, faszinierend die sparsam nuancierte Tonsetzung. Volkovs Baßspiel war eine ständige

Gratwanderung zwischen konzertanten und melodiös -rhythmischen Stimmmungen, untermalt von Grummeln, Singsang, Krächzen, Kreischen. In drei längeren Kompositionen bewies das Duo einen ausgeprägten Sinn für Dramaturgie beim Aufbau ihrer Stücke. In „Skambha-Gita“, einer Improvisation über ein indisches Thema, entwickelte Volkov einen gestrichenen Raga-Rhythmus, in den Gayvoronski behutsame Trompeten-Tupfer setzte, die sich langsam verdichteten. Bis die Trompete zu den schlängelnden Linien einer indischen Flöte fand, verfremdet durch den völlig anderen Ton des weich geblasenen Instruments. Inzwischen war der Baß von einem folkloristischen Thema zu tabla-imitierenden Patterns übergegangen, bei denen die Trompete wieder einsetzte, um ebenso verhalten auszuklingen, wie sie angefangen hatte. In den beiden anderen Stücken beeindruckte das Duo auch durch experimentellere und expressivere Parts und immer wieder durch die beschwingte Konzentriertheit ihres Vortrags. Zum Schluß gab's ein Medley von Standardthemen: schräg, ironisch und in rasantem Tempo. Begeisterter Applaus für ein spannendes Konzert. Arnaud

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