: Angst vorm Kapitalismus
Der Sieg Iliescus in Rumänien ■ K O M M E N T A R E
Die zweite Revolution in Rumänien hat nicht stattgefunden. Zumindest nicht auf den Stimmzetteln. Das Ziel der radikaldemokratischen DemonstrantInnen und der politischen Parteien jedoch, nämlich die Zerstörung der alten Strukturen des staatlichen und gesellschaftlichen Aufbaus, ist nicht aufgegeben. Die „Front zur nationalen Rettung“ hat einen überwältigenden Wahlsieg errungen. Doch in einem Land, in dem demokratische Traditionen kaum Wurzeln haben, bedeutet das für die Zukunft wenig. Die Behauptung der Front, diejenige Organisation zu sein, die unmittelbar aus der Revolution hervorging, ist vor allem von der Landbevölkerung angenommen worden.
Sie ist die einzige Partei, die im ganzen Land vertreten ist, denn während der Revolution bildeten sich spontan im ganzen Land, in allen Betrieben Gruppen der „Front zur nationalen Rettung“. Auch wenn dann im März viele bekannte Intellektuelle und Oppositionelle die Front verlassen haben, ist dieser Ruf an der neugeschaffenen Partei FNR hängengeblieben. Und sie ist die einzige Partei, die über eine soziale Basis verfügt. Auch wenn die Wahlentscheidung der Industrie- und LandarbeiterInnen sich aus der Gewohnheit begründet, es mit den Mächtigen nicht zu verderben, auch wenn die unzähligen Spitzel und Zuträger, das Heer der mittleren Bürokraten und derjenigen KleinbürgerInnen, die Ceausescus „Law-and-Order-Politik“ bewußt unterstützten, sich für die Front entschieden haben, der Wahlsieg erklärt sich auch aus der Angst der ArbeiterInnen vor einer ungewissen Zukunft im Kapitalismus. Und diese Angst war ein beherrschendes Thema im vergangenen Wahlkampf. Weiterhin gelang es der Front, die aufkommende nationalistische Welle der RumänInnen teilweise zu integrieren, indem Parolen der Nationalisten übernommen wurden.
Den Oppostionsparteien haben es nicht geschafft, in der Kürze der Zeit ihre Positionen „unter das Volk“ zu bringen. Allein die Liberalen, die mit ihrer Idee der Westöffnung die großstädtischen Mittelschichten erreichen konnten, haben sich als politische Kraft bewährt. Vernichtend war die Niederlange für die historische Bauernpartei. Nicht einmal die nationalistische Welle konnte ihnen helfen.
Gerade das müßte für die demokratische Opposition ein Hoffnungsschimmer sein. Für sie geht es vor allem um die Veränderung der Strukturen, um damit einen Durchbruch für eine demokratische Perspektive zu bewirken. Die Entwicklung einer demokratischen Öffentlichkeit, die nicht mit Halbwahrheiten und Lügen operiert, steht für sie an erster Stelle. Die Angst, die Front könnte in einen neuen Zentralismus zurückfallen, ist auf Grund der Abhängigkeit des Landes von Europa nur schlecht begründet. Eine radikaldemokratische Bewegung für die Demokratie wird jetzt die Aufgabe haben, darauf zu achten, daß die alten Repressionsmechanismen nicht wieder aufleben.
Erich Rathfelder
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