piwik no script img

Rot-grünes Niedersachsen rüstet ab

Die Koalitionsverhandlungen in Hannover gehen zügig voran / Drastischer Personalabbau beim Verfassungsschutz beschlossen / Polizei wird abgerüstet / Kommunales AusländerInnenwahlrecht bis 1991 beschlossen / Streit um niedersächsischen Lokalfunk  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Auf einen drastischen Personalabbau beim niedersächsischen Verfassungschutz und auf die Abrüstung der Polizei des Landes haben sich SPD und Grüne am Mittwoch in den Koaltionsverhandlungen in Hannover verständigt. Ein rot -grünes Bündnis in Niedersachsen will außerdem das kommunale AusländerInnenwahlrecht einführen und endlich die Berufsverbote abschaffen. Mit ihrer Forderung, das Skandalnest Verfassungschutz gänzlich aufzulösen, konnten sich die Grünen allerdings bei der SPD nicht durchsetzen. „Zur Schadensbegrenzung sind wir hier einen Kompromiß eingegangen“, sagte Jürgen Trittin, Mitglied der grünen Verhandlungskommission. Auf den heutigen Freitag verschoben haben die Koalitionäre die strittigen Punkte Atomenergie und Frauenpolitik. Stattdessen diskutierte die Verhandlungsrunde bis zum späten Mittwoch abend vor allem ein Konzept zur Wiederverwertung und Vermeidung von Hausmüll. Auf den Bau von weiteren umstrittenen Hausmüllverbrennungsanlagen will eine künftige rot-grüne Koalition offenbar verzichten.

Den vereinbarten Personalabbau beim Verfassungschutz begründete SPD-Verhandlungsführer Gerhard Schröder am Mittwoch mit der Wandlung der Aufgaben des Geheimdienstes. Man habe sich auch darauf geeinigt, den Verfassungsschutz aus einer Abteilung des Innenministeriums in ein eigenständiges Landesamt umzuwandeln, sagte Schröder. Die parlamentarische Kontrollkommission solle aufgelöst werden und stattdessen - nach Berliner Modell - ein ständiger Verfassungsschutzausschuß als Kontrollorgan installiert werden. Trittin kündigte zudem eine Änderung des Verfassungsschutzgesetzes an, das erstmals die Kompetenzen des Geheimdienstes klar regeln und etwa die „Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel bei der Beoachtung von Extremisten untersagen“ soll. Auch das werde zum Personalabbau beim VS beitragen.

Nach den rot-grünen Plänen für das neue niedersächsische Polizeigesetz soll die Polizei künftig weder CN- oder CS -Gas, noch mit Maschinengewehren ausgerüstet sein. Um eine „an den Erfordernissen der modernen Industriegesellschaft ausgerichtete Polizei“ zu schaffen, soll eine umfassende Analyse zur Neuorganisation der Ordnungsmacht erstellt werden, an der auch unabhängige Wissenschaftler mitarbeiten. Die Novelle zur Strafprozeßordnung, die unter anderem den Einsatz von Polizeiagenten in der Strafverfolgung legalisieren soll, wollen die Koalitionäre im Bundesrat ablehnen. Uneins sind sich SPD und Grüne noch darüber, ob die niedersächsische Polizei künftig zur Gefahrenabwehr verdeckte Ermittler einsetzen darf. Auch über eine mögliche Auflösung der kasernierten Schutzpolizei konnte noch kein Einvernehmen erzielt werden.

Das AusländerInnenwahlrecht soll in Niedersachsen bereits bei der Kommunalwahl 1991 gelten. Den entsprechenden Gesetzentwurf, so sagte Gerhard Schröder, werde die künftige Koalition sehr schnell im Landtag einbringen, allerdings nicht vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum AusländerInnenwahlrecht endgültig verabscheiden. Das kommunale Wahlrecht solle nicht auf AusländerInnen aus der EG beschränkt bleiben, sondern allen AusländerInnen nach einem Aufenthalt von drei oder fünf Jahren zustehen. Die in Niedersachsen noch bei Gericht anhängigen Berufsverbotsverfahren, so kündigte Schröder außerdem an, werde man stoppen, soweit noch rechtlich möglich. Rechtskräftig zu Berufsverbot Verurteilten wolle man Möglichkeiten zur Wiedereinstellung in den Staatsdienst eröffnen.

Zum Streit kam es über die Zulassung lokaler Rundfunksender. Hier stellte sich Gerhard Schröder quer, obwohl nicht nur das Wahlprogramm der Grünen, sondern auch das SPD-Programm die Zulassung von Lokalfunk in Niedersachsen verlangt. „Meine Landespartei vertritt hier eine Position, von deren Weisheit ich nicht überzeugt bin“, sagte Schröder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen