Die steinharte Währung

■ Und Marx hatte doch recht: Der Wert der Ware Geld ist definiert über die Arbeit, die in ihr steckt. Der Beweis: Die Bewohner der Pazifikinsel Yap und ihr Mühlsteingeld.

Von

ULLI KULKE

ully Hayes, im vergangenen Jahrhundert berühmt-berüchtigter Geschäftemacher und Schläger im sino-pazifischen Raum, wollte von Hongkong aus im Reiche der kleinen Inseln das große Geld machen. Doch Bully Hayes hatte seinen Meister gefunden. Ebenso wie der Abenteurer David O'Keefe, Amerikaner irischer Abstammung, der seinerzeit die Mikronesier auf die Kokospalmen jagen wollte, damit sie die Ernte für sein Kopra-Imperium einholten.

Er war kein Unbekannter, jener Mann, der mit seinen Weisheiten den beiden Gestalten ihre Grenzen aufzeigte. Sein Name war Marx.

Merke: Der Wert einer Ware ist nichts als der Ausdruck der Arbeit, die in ihr steckt (Karl Marx: Das Kapital). Das gilt nicht zuletzt fürs liebe Geld. Denn auch Geld ist eine Ware wie alle anderen. Es blieb den wackeren Männern und Frauen einer winzigen Pazifikinsel vor rund 100 Jahren vorbehalten, den Gesetzen der Politischen Ökonomie Gültigkeit zu verschaffen - gegen Bully Hayes und David O'Keefe und obendrein auch noch gegen die deutsche Kolonialverwaltung...

Geld ist vergänglich, nicht nur im eigenen Portemonnaie. Gerade dieser Tage können wir erleben, wie mal wieder eine ganze Währung verschwindet - die Ostmark. Auch unsere harte D-Mark hat erst ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel, und so zählen Gelder wie der Dollar aus der Neuen Welt schon zu den ältesten Werten. Dukaten oder Dublonen, Sesterzen oder Säulenpiaster - was könnte man heute mit ihnen noch einkaufen? Nichts.

Allein die 9.320 Einwohner des Pazifikstaates Yap, Mitglied in der Föderation der Staaten von Mikronesien, verfügen heute noch über eine Währung, die runde 2.000 Jahre alt ist: das legendäre Mühlsteingeld. Es handelt sich dabei nicht nur um das älteste noch gültige Zahlungsmittel der Welt. Es zählte über all die Jahrtausende sicherlich zu den eigentümlichsten. Und dazu gehört in dieser Weltenregion mit ihren Ratten- und Matten- oder Eier- und Schweinewährungen eine ganze Menge.

berall stehen sie herum auf der Insel Yap, die Steinscheiben in der Form von kleinen bis überdimensionalen Mühlsteinen, zwischen dreißig Zentimeter und drei Meter sechzig im Durchmesser - zumeist vor den Männerhäusern („Failu“), aber auch mal zwischen verrostenden Kühlschränken oder Autowracks, oder auch zu Dutzenden konzentriert in der „Steingeldbank“ beim Dorfe Rull. Das wundersame an diesem Geld: Auch wenn man Tiefkühlkost und Dosenbier im Supermarkt der Hauptstadt Colonia mit US-Dollar bezahlt, so kann man doch mit dem alten Steingeld („Rai“) heute noch Rechnungen begleichen - etwa ein Haus kaufen, eine Tanzgruppe aus dem Nachbardorf entlohnen oder sich auch schon mal einen größeren Posten Palm-Grog brauen lassen.

Bei der Produktion der Rai-Münzen handelte es sich nicht nur um schlichte Herstellung des Nutzwertes Geld, sondern ganz offenbar auch um eine Kulthandlung. Die Yapesen frönten dieser Tätigkeit jedenfalls in großem Maßstab. Europäische Reisende, die die „Prägestätten“ in Palau (heute: Belau), einer Nachbarinsel, zu Anfang des letzten Jahrhunderts besichtigten, zählten bis zu 400 Yapesen gleichzeitig bei der mühsamen Arbeit in den Aragonit-Steinbrüchen.

Die Herstellung der Mühlstein-Münzen selbst war eine ungeheuer mühselige Angelegenheit. Ohne Eisenwerkzeuge, nur mit Muscheläxten bewaffnet, rückten sie dem Steinbruch zu Leibe. War die Grobform fertig, wurden die Ungetüme so lange durch den Sand gezogen, bis der Feinschliff perfekt war für einen hohen Münzwert unerläßlich. Und dann kam erst das schwierigste: der Transport nach Yap. Die schwere Last ließ so manches Kanu seine Ruhestätte in der Tiefe des Ozeans finden.

ür die Herstellung ihrer Münzen scheuten die Yapesen keine, für alle anderen Arbeiten dagegen jede Mühe - sehr zum Verdruß solcher Männer wie David O'Keefe und Bully Hayes. Sie wußten, wieviel Geld in den Palmen hing. Mit zu Kopra verarbeiteten Kokosnüssen waren in Europa und Amerika Unsummen zu verdienen. Doch um keinen Preis der Welt waren die Insulaner Mikronesiens bereit, die wertvolle Nußware vom Baum zu holen - bis Männer wie O'Keefe oder Hayes auf eine Idee kamen.

Die Handelsmänner hatten dickbauchige Dschunken im Einsatz, konnten sich Dynamit besorgen und beherrschten die Handhabung modernen Geräts - ideal, um Herstellung und Versand des Mühlsteingeldes auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Beides wäre in einem Bruchteil der bisher benötigten Zeit zu bewerkstelligen. In der Tat ließen sich die Yapesen zunächst auf den Deal ein. Transportkapazität und moderne Produktion der Rai en Gros gegen tatkräftige Hilfe bei der industriellen Kokosnuß -Ernte.

Weil man die einst so umständlich zu bearbeitenden Rohprodukte nun mit Hilfe der Maschinen so bequem bearbeiten konnte, versah man die Rai auch gleich noch mit allerlei Zierrat - z.B. mit gesonderten konzentrischen Kreisen um das Mittelloch. Doch das war der Anfang vom Ende. Bald entpuppten sich die industriell gefertigten Rai als Ladenhüter, und aus war's mit der Palmenkletterei zugunsten der O'Keefes und Hayes‘. Den Aluchips der DDR gleich, wollte deren so schöne runde und glatten Steine niemand mehr haben. Der Grund: Ihre Herstellung war zu einfach. Ganz offenbar steckte zu wenig Arbeit in ihnen - und deshalb auch entsprechend weniger Ausdruck von Arbeit im Sinne von Karl Marx.

Jeder anderen Währung auf der Welt hätte als logische Konsequenz aus solcher Vielmünzerei die totale Inflationierung gedroht - der allgemeine Wertverlust. Doch das yapesische Volk zeigte den Nadelstreif -Geldpolitikern in den Zentralbanken der Weltmetropolen, wie man dergleichen verhindert. Sie akzeptierten einfach nicht mehr O'Keefes und Hayes‘ Industriegeld, obwohl es doch so viel ordentlicher und schmucker gestaltet war. Das in der Art der Alten hergestellte und -geholte gröbere Mühlsteingeld erfreute sich dagegen des ursprünglichen Wertes. Die Münzen andererseits, die mit Kanus aus dem noch viel weiter entfernten Guam herangeschifft wurden, waren die wertvollsten. Eine Handvoll Rai war einst auch auf Yap selbst aus örtlichem Gestein gefertigt worden - ganz im Sinne von Marx, aber höchstens als Kleingeld zu benutzen. Könnte es eine schönere Bestätigung des Wertgesetzes geben?

ber wieviel Wert hat denn nun ein solcher Mühlstein? Silbester, Inhaber eines der beiden Hotels auf Yap, rechnet vor: „Durchmesser mal Stärke (in Inch gerechnet) und das Ganze mal 75 Dollar.“ Der deutsche Pastor von gegenüber kann darüber nur lachen: „Die Yapesen erzählen den Fremden nur immer irgendwelche Geschichten über ihr Geld.“

Die wirkliche Vita der einzelnen Steine, die maßgeblich ist für den Wert, verschwiegen die Yapesen gegenüber den Fremden. Was letztendlich mit einer Münze bezahlt werden kann, ist dann meist Gegenstand langwieriger Verhandlungen aller Beteiligten - und das sind bisweilen nicht wenige. Die Rai sind in der Regel Gemeinschaftsbesitz einer Familie oder eines ganzen Dorfes.

Da die bis über drei Meter großen Ungetüme in kein Portemonnaie passen, ist ein Inkasso ausgeschlossen, sie bleiben stets, wo sie sind. Alle verlassen sich darauf, daß jeder weiß, wem sie gehören. Da bleibt der Streit darüber, in wessen Besitz die eine oder andere Münze ist, nicht aus. Sie kann dann mehrfach - auch im guten Glauben - zu Transaktionen benutzt werden, bevor der rechtmäßige Besitzer überhaupt etwas davon mitbekommt. Entsprechende Prozeßakten füllen tatsächlich die Ordner der yapesischen Gerichtsbarkeit.

Für den Reisenden von auswärts wären die Besitzverhältnisse und auch der Wert oder ein wie auch immer gefundener „Wechselkurs“ der einzelnen Rai nicht von Belang. Der Geldhistoriker Paul Einzig hat wohl nicht übertrieben, wenn er die Mühlsteine als reine „Binnenwährung“ des Staates Yap bezeichnet. Der Grund dafür ist nicht nur die „Bodenständigkeit“ der tonnenschweren Rai oder die zu erwartende mangelnde Akzeptanz an auswärtigen Bankschaltern. Die Ausfuhr der Münzen ist mittlerweile einer sehr rigiden Genehmigungspraxis der Regierung in Colonia unterworfen und wäre im Zweifel mit horrenden Steuerzahlungen für den Verkäufer verbunden. Wenn auch jetzt im Zuge der Umgestaltung der östlichen Planwirtschaften fast alle Währungen der Welt in die „Konvertibilität“ überführt werden - das Mühlsteingeld des Staates Yap ist davon noch tonnenweit entfernt.