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Werra soll in Betonkorsett gezwängt werden

Aktion am Sonntag mit Fahrrädern und Paddelbooten gegen Salzeinleitungen und Begradigung der Flußschleifen / Eines der ökologisch intaktesten Gewässer soll mit Baggern ruiniert werden / Das Projekt stammt noch aus der Ära Honecker  ■  Von der Werra Rainer Everling

Die von Salzeinleitungen verseuchte Werra ist auf ihren ersten 120 Flußkilometern einer der ökologisch intaktesten Flüsse der DDR. In engen Mäandern schlängelt sie sich aus dem thüringischen Friedrichshöhe von Südost nach Nordwest. Weiden und Laubbäume mit wertvollen Brutgebieten säumen die Strecke. Stachel in den Augen der Wasserbauer. Als angeblicher Schutz vor Hochwasser läuft ein millionenschweres Werra-Begradigungsprogramm, das dem Flüßchen ein enges Betonkorsett verpassen soll. Am Sonntag, dem 27. Mai, ist großer Protesttag entlang der Werra.

Wenn bundesdeutsche Protestradler, die die Versalzung stoppen wollen, etwa 20 Kilometer östlich der Grenze nach Merkers vorgestoßen sind, wollen sich DDR-Demonstranten mit Paddelbooten anschließen. Ab dort geht es darum, die drohende Begradigung des Flusses zu stoppen. Der Mäander hinter Merkers ist akut bedroht. Einziger Sinn der ehrgeizigen Bauarbeiten, meinen Gegner, sei es, Behördenleitern die Pfründe zu sichern, indem sie ihre Ämter mit teuren Bauprojekten aufblähen.

Der Konflikt ist Altlast der Regierung Honecker und fußt auf einem Hochwasser von vor acht Jahren. Damals wurden weite Teile des Werratales überflutet. In Städten wie Meinigen und Wasungen stand manchem das Wasser bis zum Hals. Zur Abhilfe faßte 1983 der DDR-Ministerrat den Beschluß zu einem unfangreichen Ausbauprogramm.

Als erstes wurde die Werra in Orten wie Eisleben oder Meiningen tiefergelegt und in Beton gezwängt. Damit erhöhte sich die Fließgeschwindigkeit. Hochwasser fließt also schneller vorbei. Ob dies eine vernünftige Methode ist, so der Erfurter Biologe Ulrich Scheidt, „darüber läßt sich streiten.“ „Sinnlos und hirnverbrannt“ findet Scheidt hingegen, daß der Fluß auch auf freiem Ackerland verkürzt und kanalisiert wird.

Auf die Palme ging Scheidt, als Bagger im letzten Frühjahr die Werra hinter dem Örtchen Walldorf ruinierten. 1981 standen in Walldorf der Sportplatz und drei Keller unter Wasser. Dies galt dem Ausbaukombinat (Meliorationskombinat) als Vorwand, auf freiem Feld eine Flußschleife mit dichtem Bewuchs durch einen geraden Kanal aus Beton zu ersetzen. Für einen geschätzten Aufwand von 2,5 Millionen Mark wurden ein paar Quadratmeter mehr Ackerfläche geschaffen. Wertvolle Brutgebiete mit dichtem Pflanzenbewuchs, etwa für den Eisvogel, wurden vernichtet.

Umweltschützer, die die Bauarbeiten fotografierten, galten als Staatsfeinde. Begründung: Auf einem der Bilder ist im Hintergrund das Walldorfer Bahnhofsgebäude zu sehen. Ein lohnendes Ziel für Bombenangriffe...

Ulrich Scheidt, Leiter des Erfurter Naturkundemuseums, trug den Protest voran: „Wir galten als Staatsfeinde, weil wir wagten, Fachmännern vom Ausbaukombinat reinzureden.“ Um angehört zu werden, mußte Scheidt bei Aussprachen mit Behörden höllisch aufpassen, daß er auch ja nur Ost -Literatur zitierte. Außerdem trat er nicht als Privatmann, sondern als Vertreter des SED-treuen Kulturbundes auf. Daß zwischen dieser braven Organisation und öffentlichen Stellen ein Konflikt schwelte, ließ sogar den damaligen Umweltminister Reiche aufhorchen. Als der Walldorfer Betonkanal fertiggestellt und der stillgelegte Flußmäander mit Braunkohleasche aufgefüllt war, gab das Ministerium Scheidt in wesentlichen Punkten recht. Den Protestierenden wurde zugesichert, sie würden vor weiteren Baumaßnahmen benachrichtigt.

Leere Worte. Durch Zufall erfuhren Anwohner im September '89, daß die Bagger im Kalidorf Merkers plötzlich nicht nur rollten, um ein Wehr zur Frischwasserversorgung des Werkes zu bauen: Gleichzeitig soll eine weitere Flußschleife beseitigt werden.

Nach der Wende nahm der Protest in den Werragemeinden weiter zu. Befürchtet werden Pläne, nach denen so gut wie alle Werra-Flußschleifen verschwinden sollen. Thema ist die Frage nach dem Warum des ökologisch-ökonomischen Unsinns, Ackerflächen vor Überschwemmung bewahren zu wollen. Theorie ist, das Kombinat wolle für möglichst viel Geld bauen, um an Bedeutung zu gewinnen und um personell aufgestockt zu werden. Von der Größe einer Behörde hängt schließlich die Bezahlung ihres Leiters ab. Zielscheibe für den Unmut ist erstmal der „Generalprojektant bei der Projektierung Wasserwirtschaft in Erfurt“ namens Heubach.

Wer an der Demo am 27. Mai entlang der Werra per Paddelboot oder Fahrrad nach Merkers teilnehmen möchte, sollte sich zwecks Koordination bei Ulrich Scheidt, Elbestraße 22, Erfurt 5026 melden.

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