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„Die Wehrpflicht ist eine völlig klare Sache“

■ Interview mit einem Offizier der NVA über den zukünftigen politisch-militärischen Status Berlins im vereinigten Deutschland / Sonderstatus für Gesamt-Berlin unwahrscheinlich / Block-neutrale Brigade aus NVA und Bundeswehr?

Wann kommt die Wehrpflicht? Das Bundesverteidigungsministerium bezieht dazu momentan trotz unheilvoller Äußerungen von Verteidigungsminister Stoltenberg und seines Vorgängers Scholz keine Stellung. Es gebe „keinen Sachstand“ meinte ein Sprecher am Freitag, bei den Zwei-plus-vier-Verhandlungen sei „zuviel im Fluß“. Auch für den Regierenden Momper „ist jetzt nicht die Zeit darüber zu reden“. Man wolle Zwei-plus-vier abwarten, sagte eine Senatssprecherin: „Eine schnelle Angleichung an die BRD wird der Senat nicht fordern“. Für den Übergang gelte Mompers Neun-Punkte-Plan zur Entmilitarisierung, der allerdings schon von der Historie überholt scheint. Bei der NVA macht man sich hingegen nach taz-Informationen schon Gedanken darüber, ob Westberliner denn auf BRD-Gebiet dienen werden oder in speziellen Berliner Truppen. „Realistische“ NVA -Lösungsmöglichkeit: Eine „block-neutrale gemischt deutsche Berlin-Brigade“ aus NVA und Bundeswehr. Die taz interviewte zum Thema einen hochrangigen NVA-Offizier, der aus verständlichen Gründen anonym bleiben wollte.

taz: Geht man in der NVA davon aus, daß die Wehrpflicht nach West-Berlin kommt?

Nicht nur wir gehen davon aus, die Hardthöhe ganz genauso. Da gibt es schon ganz genaue Berechnungen, wieviel Leute in welchem Jahrgang jährlich zur Verfügung stehen. Das ist eine völlig klare Sache - es sei denn, man könnte durchsetzen, daß die Wehrpflicht generell abgeschafft wird.

Wieso ist das so unausweichlich?

Allein schon aus juristisch-historischen, letzlich praktischen Gründen. Zwar kann die Vereinigung Berlins erstmal ohne Verletzung der Rechte und Verantwortlichkeiten der Alliierten durchgeführt werden. Doch es bleibt ein Problem: Für die westliche Stadthälfte gilt - im Gegensatz zur östlichen - bis heute der Viermächtestatus für „Groß -Berlin“. Dies bedeutet, daß alle Entscheidungen einer zukünftigen gemeinsamen Stadtverwaltung erst nach der Gemehmigung der drei Mächte rechtswirksam würden. In Ost -Berlin hingegen sieht es anders aus. Dort gibt es seit 1949 faktisch kein Besatzungsstatut mehr, seit Gründung der DDR gilt Ost-Berlin als Hauptstadt und somit Teil der DDR. Bei einer Vereinigung der Stadthälften müßten Magistratsbeschlüsse also im Westen von der Kommandantura oder den jeweiligen Stadtkommandanten abgesegnet werden, während sie im Osten ohne jegliche Beschränkung umgesetzt werden könnten.

Der Viermächtestatus kann also kein Dauerzustand bleiben?

Das wäre anachronistisch und deshalb wird es anders kommen. Der Status Berlins wird verändert werden. Und in dem Augenblick gelten auch die entsprechenden alliierten Gesetze zur Entmilitarisierung nicht mehr. Damit entfällt das, worauf sich Totalverweigerer und Wehrflüchtlinge berufen.

Aber das ist politisch doch ein Schritt rückwärts.

Das ist ja die Tragik. Aber die Konservierung des Status quo ist aussichtslos. Da kann Momper seinen Neun-Punkte-Plan zur Entmilitarisierung Berlins vorlegen oder kann die AL fordern, daß es keine Wehrpflicht in Berlin geben soll. Doch das ist ein Denkirrtum, denn nicht das Land Berlin wird entscheiden können. Das ist die Sache der Zentralregierung. Wenn die Viermächte-Oberhoheit fällt, dann gilt das Grundgesetz. Welche Mehrheit im Parlament sollte schon entscheiden, daß das Grundgesetz in der zukünftigen Hauptstadt Berlin nicht voll gilt? Es wird auch aus psychologischen Gründen so kommen. Denn die Westdeutschen haben von dem Sonderstatus Berlins ebenso genug, wie die DDR -Bevölkerung von besonderen Rechten der Zentrale.

Ist denn eine Lösung, wie jetzt in Ost-Berlin praktiziert, denkbar? Wehrkommandos und Wehrerfassung ja, aber keine Kampf- und Kampfunterstützungstruppen.

Das ist sicherlich ein Modell, ein Angebot. Aber damit läßt sich die Wehrpflicht nicht verhindern. Natürlich könnte man versuchen, so einen „entmilitarisierten Status im engeren Sinne“ politisch zu begründen. Etwa wenn in der zukünftigen Hauptstadt Institutionen angesiedelt würden wie ein Europäischer Sicherheitsrat, Abrüstungs-Kontrollbehörden oder ein Amt für Konversion militärischer Industriepotentiale. Dann könnte man sagen, bis auf eine Ehrenkompanie für Staatsbesuche ziehen wir alle Soldaten und militärischen Einrichtungen ab. Ich wäre aber dafür, sich nach vorn zu orientieren: Die Wehrpflicht sollte generell weg. Denn es gibt kein vernünftiges Argument dafür. Zwar ist die nicht heute und nicht morgen abschaffbar, doch das wäre Schritt für Schritt im Laufe von zwei, drei Jahren möglich. Statt dessen könnte man an eine Zeitfreiwilligen- und Berufsarmee denken. Mit entsprechend kurzen Dienstzeiträumen könnte man auch den „demokratischen Durchlauf“ sichern, den Herr Eppelmann fordert.

Interview: kotte

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