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Die Treibhausbombe tickt laut

UN-Bericht zeichnet ein düsteres Bild / Temperaturanstieg um 3 Grad bis Ende nächsten Jahrhunderts prognostiziert / Aber in Großbritannien reagiert Thatcher nur mit schönen Worten auf die Hiobsbotschaft  ■  Von Ralf Sotscheck

Der Treibhauseffekt ist möglicherweise noch schlimmer, als in einem ohnehin schon düsteren Bericht der Vereinten Nationen prognostiziert wird. Darauf wiesen ausgerechnet die 90 Klimatologen vom Internationalen UN-Ausschuß über Klimaveränderungen (IPCC) hin, die den Bericht selbst verfaßt hatten. Die Hiobsbotschaft verkündeten sie zum Abschluß ihrer Tagung am Freitag in Windsor.

Der Internationale UN-Ausschuß prophezeit einen Temperaturanstieg um drei Grad bis zum Ende des nächsten Jahrhunderts. Dadurch werde der Meeresspiegel um 65 Zentimeter steigen. Eine Reduzierung der Treibhausgase um 60 Prozent sei erforderlich, um ihre Konzentration in der Atmosphäre wenigstens zu stabilisieren, heißt es in dem Bericht, der nur in Auszügen veröffentlicht wurde.

In dem Bericht heißt es im einzelnen, daß trotz eines gewissen natürlichen Treibhauseffektes kein Zweifel daran bestehe, daß „menschliche Aktivitäten“ auf dem Planeten die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre Kohlendioxid, Methan, Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) und Stickstoffdioxid - beträchtlich erhöhten. Kohlendioxid mache dabei mindestens 50 Prozent aus. Die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre reagiere nur langsam auf eine Steigerung oder Verringerung der Emissionen.

Um die Konzentration auf heutigem Niveau zu stabilisieren, müßten die Methanemissionen um 15 bis 20 Prozent, die der anderen Gase um über 60 Prozent reduziert werden. Die Wissenschaftler entwarfen mit Hilfe von neun Computermodellen mehrere Alternativen: Wird nichts unternommen, wird es im nächsten Jahrhundert alle zehn Jahre 0,3 Grad Celsius wärmer werden - das ist mehr als je zuvor in den vergangenen 10.000 Jahren.

Wird die Kohle nach und nach durch Naturgas ersetzt, der Energieverbrauch gesenkt und die Abholzung von Wäldern gestoppt, steigt die Temperatur um 0,2 Grad.

Werden in der zweiten Hälfte des kommenden Jahrhunderts anstelle der herkömmlichen Energien erneuerbare wie Wind, Sonne und Gezeiten genutzt, wird es alle zehn Jahre etwas mehr als 0,1 Grad wärmer. In Südeuropa und in Nordamerika steigen die Temperaturen wahrscheinlich schneller als im Durchschnitt. „Die Zeitbombe tickt“, sagte der britische Meeresbiologe und Mitarbeiter im UN-Ausschuß John Woods. „Wann sie explodiert, ist schwer zu sagen, weil unsere Modelle zur Zeit noch zu ungenau sind.“

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher nahm den Bericht zum Anlaß, sich erneut das grüne Mäntelchen umzuhängen. Bei der Eröffnung eines Klimaforschungszentrums in Bracknell/Berkshire am Freitag hob sie die „historische Bedeutung“ der UN-Untersuchung hervor. Doch welche Konsequenzen zieht sie daraus? Keine. Großbritannien will die Emission von Kohlendioxid, dem gefährlichsten Treibhausgas, bis zum Jahr 2005 lediglich „stabilisieren“.

Das heißt jedoch, daß der Kohlendioxidausstoß zunächst steigen wird - bis zu 30 Prozent laut einer Vorhersage des britischen Energieministeriums. Deshalb sei eine Stabilisierung über 15 Jahre bereits eine „anspruchsvolle Aufgabe“, sagte Thatcher. Doch selbst diese bescheidene Maßnahme machte sie davon abhängig, daß „andere Nationen“ ähnliche Schritte unternehmen.

Damit spielte sie auf die Weigerung der USA an, das Problem anzuerkennen. In offiziellen US-Papieren ist das Wort „Treibhauseffekt“ tabu. Statt dessen heißt es „Klimaveränderungen“.

Großbritannien liegt in der Kohlendioxid-Produktion weltweit an sechster Stelle. Jährlich werden 157 Millionen Tonnen ausgestoßen. Thatcher will jedoch nichts unternehmen, was AutofahrerInnen und die privatisierte Stromindustrie vor den nächsten Wahlen in zwei Jahren verärgern könnte. Sprecher der beiden Gruppen begrüßten ihre Rede als „positive Herausforderung“.

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