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■ Eine Ausstellung über die Lust am Falschen im Werkbund-Archiv

„Wirklichkeit erscheint nur noch als Störung, als Injektion für die jeweilige Perfektionierung der eigenen Imitationsszenarien.“ (Hans Ulrich Reck, „Bewußtseinsfälschungen“).

Was für ein seltenes Zusammentreffen glücklicher Umstände: Im Martin-Gropius-Bau finden sich gleichzeitig eine Ausstellung zum Transzendenten in der modernen Kunst und zu Imitationen und Fälschungen. Erstere ist eine Ausstellung, die sich dem mahnenden Andenken an authentischen Terror in Echtzeit verschreibt - fotografische fixierte und museal gebannte Dokumente des Schreckens verweisen auf den Wahrheits- und Geschichtsbegriff einer längst als PR-Gag inszenierten „bürgerlichen Aufklärung“. In der Ausstellung, deren Sujet Imitationen sind, wird hingegen mit viel Charme die Verführung zur „Lust am Falschen“ thematisiert. Wieder einmal ist es das Werkbund-Archiv, dessen mit Artefakten des Trivialen ausgefüllten Räume sich dem SchöGuWa-Schwindel sperren und statt dessen mit Liebe zum Detail inszeniertes Unaufälliges und Abseitiges präsentieren.

Die Ausstellung betretend, fällt einem zunächst ein nachgestellter alter Meister, Vermeers Stilleben mit Schmetterling, ins Auge. Hinter einer Scheibe türmen sich Obst und Gemüse aus Plastik, in Raumtiefe und Beleuchtung so angeordnet, als zeigten sie das Motiv, das Vor-Bild, des danach entstandenen Bildes. Beim Nähertreten zeigt sich in einer unteren Ecke ein Schmetterling, dessen Flügel wild vibrieren. In der Scheibe spiegelt sich wie zufällig ein Monitor, auf dem eine der neuesten Simulationen flimmert: das computeranimierte Zusammentreffen von Marilyn Monroe und Humphrey Bogart in einer Bar. Gleich neben dem Stilleben -Schaukasten ist ein Geigen-Fälscher-Kasten zu sehen. Da gibt es obskure Fläschchen, Drähte, Saiten, Werkzeuge und eine Fibel, deren Aufschrift wohl die „Geheimnisse der Stradivari“ lautet. So dicht konzentriert finden sich auch die weiteren Objekte angeordnet, selten wird ein historischer, handwerklicher oder thematischer Kontext deutlich. Vielmehr treffen Gemälde, Drucke, Skulpturen, die aus ihrem jeweiligen gesicherten Sinnzusammenhang und ihrer Rezeptionsgeschichte herausgelöst wurden, aufeinander.

Neben Fälschungen bekannter Ölgemälde hängen echte Reproduktionen auf Originalleinwand mit Goldrahmen. An einer Stellwand ziehen sich Blätter entlang, worauf mit der Hand gezeichnete Serien von Haushaltsgegenständen abgebildet sind. Gewisse Unregelmäßigkeiten in der exakten Wiedergabe sind mit Rot angezeigt. Einer der wenigen Beitexte erläutert, wie die Polizei auf einen sadistischen Hausmeister stieß, der Leute dazu zwang, ein vorgegebenes Motiv immer wieder zu kopieren, zu kopieren, zu kopieren, eventuell auftretende Fehler bestrafend. Bis zur Decke hinauf ziehen sich an einer anderen Wand diverse Variationen von Dürers Betenden Händen. Der Katalog, der sich nur wenig mit der Einordnung und Analyse der Exponate abgibt, sondern sich in verschiedenen Aufsätzen mit dem Ausstellungsthema verschränkt, merkt an: „Die Betenden Hände unter der Rubrik Reproduktionen einzuordnen, verbietet bereits ihre materielle Beschaffenheit, denn weder reproduzieren sie ihr Vorbild noch handelt es sich um untereinander ähnliche Vervielfältigungen. Vielmehr existiert eine Vielzal konkurrierender Varianten, die, in Massenauflagen konkurrierend, um die Gunst des Käufers werben. Sie alle - es sind an die hundert, und noch immer kommen neue hinzu - beanspruchen authentische Stellvertreterschaft, wollen Objekte der Nachfolge, der Imitation Dürers und der Natur in einem sein. Dabei erlaubt keines der in verschiedenen Materialien gegossenen, geprägten oder geschnitzen Hände-Exemplare jedoch viel mehr als die vage Wiedererkennbarkeit des Vorbildes.“

Unter dieser Sammlung der „wahren Ikone der Deutschen“ ist ein kleiner Guckkasten aufgestellt, wie er in den meisten Touristenfallen zu finden ist. Schaut mensch hinein, erblühen Leuchtdias vor dem Auge, die echte Handwerker im Schweiße ihres Angesichts bei ihrer echten Arbeit zeigen. Das verströmt diesen spröden, deutschen Geschmack von nachgebauten Köhlersiedlungen im Schwarzwald, wo sich in der immergleichen Gaststätte nebenan, umgeben von Holzimitaten und Billigdrucken der Landschaft gut die jeweiligen Original -Spezialitäten verspeisen lassen.

Im nächsten Ausstellungsraum kommt den technischen Medien bei der Darstellung vermehrte Bedeutung zu. Ein Video zeigt beispielsweise ein grandioses Zeugnis unserer Kultur: das „Video-Baby“, das menschliche Wärme und Abwechslung ins trostlose Heim bringen und einem die Mühe des Boy- oder Girl -Windelwechselns ersparen soll. Schmeißt man die Videokassette an die Wand, passiert nicht viel. Für Misanthropen gibt es übrigens auch eine Kassette, die einen Hund zeigt.

Auf einem anderen Bildschirm verendet ununterbrochen eine Äsche. Im November 1986 verseuchte Sandoz den Rhein und Hunderttausende Fische krepierten. Anfang 1987 stellte Peter Aschwanden ein Video her, in dem er in ein Aquarium unter Beigabe des dem realen Vorgang entsprechenden Giftes eine Äsche setzte und den 8 Minuten dauernden Todeskampf des Tieres filmte. Während Sandoz ungeschoren davon kam, wurde Aschwanden wegen „vorsätzlicher Widerhandlung gegen das Tierschutzgesetz verurteilt. Die Imitation, nicht das Reale, zeitigt strafrechtliche Konsequenzen.

Im gleichen Raum findet sich eine Maschinerie, die gleichfalls mit Imitationen oder besser: Simulationen arbeitet, die ebenfalls Konsequenzen im Realen haben. Dort steht ein Apparat zur Genom-Analyse. Unsere naturwissenschaftlichen Freunde an der Genmanipulationsfront behaupten, der „genetische Code“ - und damit die Natur im Allgemeinen - sei wie eine Sprache strukturiert, und würde deren Grammatik erst einmal beherrscht, so könne nichts mehr schiefgehen. Was die objektive Wissenschaft übersieht, ist, daß sie in die Natur die der Forschung eigene Struktur projiziert, der „genetische Code“ eine Imitation oder besser: Simulation, der Sprache ist, aber keinesfalls die der Natur innewohnende „Sprache“. Neben dieser Apparatur zur Modifikation seines genetischen Ursprungs ist bereits der Prototyp des neuen Menschen zu sehen: „Pit-Man“. Regelmäßige Besucher von High-Budget-Exploitation-Filmen kennen ihn als „Robocop“ oder „Exterminator“, dieses Gemisch aus Mensch und Maschine. „Pit-Man“ aber bewegt sich nicht auf der Leinwand, sondern soll vielmehr in Echtzeit auf den zukünftigen Schlachtfeldern agieren, so die Vorstellung der Forscher aus Los Alamos. Hans G. Helms thematisiert die „Electronic battlefields oder: Die Einübung des imitativen Gehorsams“ seit Jahren und kommt dabei immer wieder zu aufregend apokalyptischen Schlußfolgerungen. „Den Auftraggebern und Finanziers der Hochtechnologie - den Militärs und dem Großkapital - schwebt als deren Profit- und subordinationsmaximiertes Generalziel der geclonte Mensch in einer geclonten Umwelt vor. Die Auftraggeber wünschen sich ein in materielle Realität transformiertes electronic battlefield (das Schlachtfeld, das bis heute nur als Computersimulation über die Bildschirme in Spielhallen, Wohnzimmern und im Pentagon flimmert), „darauf die blauen und roten Kampfeinheiten und Waffensysteme von den Computerkommandostäben aus gegeneinander gehetzt und bis zur totalen Annihilierung der einen oder anderen Spielfigur gesteuert werden können. Die das Schlachtgetümmel aufarbeitende Computeranalyse brächte Aufschluß darüber, wie die lebenden Imitate der auf CAD-Bildschirmen entworfenen und durchkonstruierten Menschenmodelle und ihre kriegs- bzw. konsumtauglichen Peripheriegeräte oder Accessoires in Richtung auf maximierte Zerstörungs- oder - was bei Licht besehen dasselbe meint - Konsumpotenz fortzuentwickeln wären, und sie liefert zugleich die CAM-Programme zur automatischen Fertigung der nächsten Modellgeneration von Allzweckhominiden“.

„Pit-Man“ ist in eine mehrfache Rüstung gekleidet, die ABC -Schutz gewährleisten soll und durch Computer gesteuert wird. „Pit-Man“ ist mit zusätzlichen Sinnesorganen, Radar und Infrarotsicht ausgerüstet. „Pit-Man“ führt die neuesten und besten Waffen mit sich, ist drei Tage einsatzfähig, und damit der Mensch, der da noch drinsteckt, nicht meutert oder individuelle Strategien durchführt, ist ihm ein Bio-Implanat eingepflanzt, das mit der Computerzentrale im Gefechtsstand in Verbindung steht. Übrigens ist im gleichen Raum eine „Absamungsmaschine“ ausgestellt, so eine Kuh-Attrappe, die der Bulle bespringt, um sein verkörpertes Begehren ins Nichts der funktionalen Profit-Maximierung zu spritzen. Hübsch paßt das zusammen.

Im dritten Raum geht es dann wieder etwas lockerer zur Sache. Dort finden sich jede Menge Alltagskulturschätze aufgebahrt, jene Fälschungen und Fakes, die mit ihrer „Echtheit“ oder Offensichtlichkeit anrühren. Da wären also die Zeitungs-Fakes zu nennen, Cover von Spiegel, Playboy, Time, deren Anliegen Martin Heller so beschreibt: „Wer imitieren will, muß decodieren können: den Slang der Mächtigen, die Typographie der Dummheit, die eitle Bildrhetorik ästhetischer Autoritäten. Das braucht Souplesse und Übung.“ Dann erst entstehe jene subversive Fälschung, „die auch immer gezielt Demaskierung, provokante Verunsicherung, lustvolle Parodie oder flammende Anklage ist“. Im gleichen Kontext bewegen sich die „Doppelgänger“. Selbstverständlich taucht unter ihnen „der wahre Heino“ auf, und auch jene beiden Schweizer, die 1985 in Polizeiuniformen in Zürich herumliefen und sich so gar nicht staatsterrormäßig verhielten, sind zu sehen. Dargestellt finden sich die Doubles berühmter Filmstars und auch eine Illustrierten-Serie, die jedem einmal die Möglichkeit gab, „zu sein wie...“. Die Menschen wurden fachmännisch bearbeitet, geschminkt, frisiert usw. und dann fotografiert.

Auf einem Regal zieht sich eine Reihe von Barbie-Puppen hin. Auch an Barbie ist die Zeit nicht spurlos vorübergeschritten. „Vor dreißig Jahren geboren, nach der deutschen 'Bild'-Lilli-Puppe geschaffen, verkörpert Barbie immer die Mode und das Lebensgefühl ihrer Zeit. Ihre Kleidungsstücke sind Miniaturmodelle des jeweils neuesten Chics. Ihr Make-up und ihre Frisur ändern sich mit dem Schönheitsideal, aber auch ihre Lebensumstände - ihr Zubehör. War in der 60er Jahren noch das Spielen mit einem Barbie-Theater, einem Modesalon und einem College der Traum kleiner Mädchen, so gibt es heute für Barbie ein Büro, ein Fitnesscenter und eine Rockstar-Bühne. Alle 22 Sekunden wird in der Schweiz eine Barbie gekauft: Schöne Kontinuität im Wechsel. Im Katalog ist übrigens Sylvia Gasser abgebildet, das Barbie-Modell von 1989. Inmitten einer Unmenge von männlichen und weiblichen Puppen steht sie da in Weiß und zeigt sich mit versteiften Armen als ideale Verkörperung der Imitation der Imitation.

Im letzten Ausstellungsraum kommt es dann hart auf hart, und das ist dementsprechend trocken und unzugänglich: Da läuft auf einer Leinwand ein Film, der wohl aus einer fahrenden Lokomotive aufgenommen wurde. Der Blick bleibt auf die vor einem liegenden Gleise gerichtet, Grünzeug fliegt an den Seiten vorbei. Der Eisenbahn-Film stellt die sprödeste Art einer Filmfunktionsweise dar, die sich ansonsten bei solchen Klassikern wie Urlaubsfilmen der Familie, Video -Aufzeichnungen von Hüttendörfern seitens der Polizei und seitens der Besetzer zeigt: „Realität als regulierter Ausdruck der Simulationsszenarien: das ist das eine Moment, das den Imitationsbegriff als für die Beschreibung der gegenwärtigen Sozialstrukturen sinnvoll erscheinen läßt. Das andere, damit untrennbar verbundene Moment ist die Verlagerung der Realitätsaneignung auf die Szenarien“, wie Hans Ulrich Reck schreibt. Erst die Filme lassen Tun wirklich werden, erst die Simulation oder Imitation bedeutet.

Wie gesagt kommt die Ausstellung nicht so dramatisch daher, sondern regt eher zu einem Dauerschmunzeln an. Die eigenen Gedanken können frei flottieren, sich an dieses oder jenes Exponat anlagern und Verbindungen knüpfen.

R. Stoert

„Imitationen - Nachahmung und Modell: Von der Lust am Falschen“ bis zum 8. Juli im Werkbund-Archiv im Martin -Gropius-Bau. Katalog 39,80 DM.

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