„Die gesamte Wirtschaft stillegen macht keinen Sinn“

Der Westberliner Umweltstaatssekretär Klaus-Martin Groth (AL) über die Umweltunion mit der DDR  ■ I N T E R V I E W

taz: Die DDR-Betriebe sollen für die Übernahme der bundesdeutschen Umweltgesetze großzügige Übergangsfristen bis zum Jahr 2000 erhalten. Wird damit nicht die notwendige Sanierung der DDR-Betriebe um zehn Jahre verschoben?

Staatssekretär Dr. Klaus-Martin Groth: Die Übergangsfristen sind zwar tatsächlich sehr großzügig bemessen, aber man muß auch an die Leistungsfähigkeit der DDR-Betriebe denken. Die gesamte Wirtschaft jetzt einfach stillzulegen, würde sicherlich keinen Sinn machen.

Niemand will die ganze Wirtschaft stillegen. Aber man muß den Betrieben soviel Druck machen, daß sie zumindest die größten Dreckschleudern rasch sanieren oder stillegen.

Nach unseren Erfahrungen dürfte in einer großen Zahl der Fälle nur die Stillegung wirtschaftlich sinnvoll sein. Das zeigt sich gegenwärtig besonders drastisch in Bitterfeld, wo eine Sanierung mit derart immensen Kosten verbunden ist, daß sie sich nicht lohnt.

Wenn sich eine Sanierung nicht lohnt, besteht dann nicht die Gefahr, daß die Betriebe ihre Altanlagen solange wie irgend möglich in Betrieb halten? Das heißt, die Übergangsfristen werden voll ausgeschöpft.

Diese Gefahr sehen wir natürlich auch, aber wir können nicht von westlicher Seite einen Gesamtsanierungsplan für die DDR-Wirtschaft durchsetzen. Wichtig ist - und hier haben wir Töpfer überzeugt - daß das Bundesimmissionsschutzgesetz sofort in Kraft tritt. Dieses Gesetz bietet die Möglichkeit, Betriebe vorzeitig stillzulegen, wenn die Bevölkerung bedroht ist. Das ist in Bitterfeld und in den anderen Notstandsgebieten der Fall. Die politische Verantwortung dafür hat die DDR-Regierung.

Ab 2.Juli wird der ökonomische Druck auf die DDR-Betriebe dramatisch wachsen. Werden dann nicht die ökologischen Belange erst recht hinten runter fallen?

Deshalb haben wir ja gefordert, daß eine „Umweltglocke“ zwischen den beiden deutschen Staaten gebildet wird, damit Gelder von hier nach dort fließen können. Bonn will hier aber keinerlei Zugeständnisse machen.

Für die DDR-Bevölkerung war die Einheit auch ein Traum von der besseren Lebensqualität. Weniger Gift, saubere Städte. Muß man jetzt nicht ehrlicherweise sagen, daß es noch viele Jahre wie bisher weitergehen wird?

Die DDR-Bevölkerung wird vor eine sehr schwere Wahl gestellt. Will sie sehr schnell westlichen Konsumstandard erreichen? Dann wird sie für die Umweltsanierung mehr Zeit brauchen. Will Sie ihre Sehnsucht nach einer sauberen Umwelt einlösen? Dann wird sie dafür arbeiten und auch Konsumverzicht leisten müssen. Das ist eines der wichtigsten Diskussionsthemen der DDR für die nächsten Jahre.

Welches Standing hat in diesem Konflikt noch die Umwelt?

Gegenwärtig ist der Umweltaspekt stark in den Hintergrund getreten. Das haben ja auch die Wahlergebnisse gezeigt. Bei der Umwälzung und bei den Kräften, die diese Umwälzung vorangetrieben haben, stand er dagegen noch im Mittelpunkt. Was die DDR-Bevölkerung jetzt will, ist vor allem der Einstieg in den westlichen Konsum. Hier ist sicherlich viel Überzeugungsarbeit notwendig, damit die Umweltbelange nicht übergangen werden. Die Umweltgesetze, die jetzt in der DDR beraten werden, sind nicht schlecht. Entscheidend ist, was die DDR-Regierung daraus macht.

Und wo sind die Utopien geblieben? Die einmalige Chance für einen Neuanfang? War das nur Gerede?

Ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Wenn in den nächsten Monaten die Katastrophe mit Millionen von Arbeitslosen heraufzieht, wird sicherlich ein neuer Prozeß des Nachdenkens einsetzen. Vielleicht werden dann die Ideen des 9.November nochmal wirksam.

Wie sehen diese Ideen konkret aus?

Die Idee ist zum Beispiel, ein Nichtanwachsen des Autoverkehrs zu erreichen. 40 Jahre Autokonsum nachzuholen, heißt für die DDR in dieselbe Katastrophe zu fahren. Bei uns wurde diese Katastrophe durch die starke Wirtschaftskraft noch einigermaßen aufgefangen. Die DDR hat diese Wirtschaftskraft aber nicht. Sie wird auf schlechten Straßen, in schlechter Luft, an schlechten Fabriken vorbei in den Stau fahren.

Interview: Manfred Kriener