: Gerhard Schröder: Lafontaine lenkt ein
■ Zustimmung zum Staatsvertrag „Wenn sich für die Menschen sozial etwas verbessert“ / Streibl schimpft / Anke Fuchs plaudert
Saarbrücken (ap/dpa) - Der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine wird den Staatsvertrag mit der DDR nach Ansicht des designierten niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder neu bewerten, „wenn sich für die Menschen sozial etwas verbessert“. Am Mittwoch sagte Schröder im Saarländischen Rundfunk, die SPD müsse jetzt die Tauglichkeit des Staatsvertrags als Instrument zur Einheit überprüfen und fügte hinzu: „Eine Totalablehnung, etwa auch im Bundesrat, hätte die gleichen schlimmen Folgen wie das Passierenlassen.“ Heftige Kritik an Lafontaine übte dagegen der bayerische Ministerpräsident Max Streibl.
Die Verhandlungen mit der Bundesregierung haben nach Schröders Einschätzung schon jetzt zwei „wichtige“ Einsichten gebracht: „Ohne die öffentlichen Aktivitäten von Oskar Lafontaine wären die Gespräche nicht in Gang gekommen, hätte sich die Bundesregierung weiter stur gestellt.“ Zum anderen habe die Bundesregierung eingeräumt, „daß Lafontaine in der Sache recht hat“, da sie „mit schweren ökonomischen Verwerfungen in der DDR“ rechne.
Streibl schrieb dagegen im CSU-Organ 'Bayernkurier‘: „Die SPD steht an einem Scheideweg. Folgt sie Lafontaine und verweigert sie sich ihrer nationalen Verantwortung, wird sie ein weiteres Mal in einer historischen Stunde der deutschen Politik versagen. Die SPD muß sich aus staatspolitischen Gründen den parteitaktisch motivierten Erpressungsversuchen ihres Spitzenkandidaten widersetzen, auch um den Preis, daß Lafontaine dann seine Kanzlerkandidatur niederlegen würde. Das wäre sowieso das beste, was Deutschland passieren könnte. Setzt sich Oskar Lafontaine durch, würde die SPD wieder von der Geschichte widerlegt werden“, schrieb Streibl weiter. Lafontaine setze auf das Chaos, das er selbst herbeiführen wolle, um sich dann als Prophet, der es schon immer gewußt habe, darstellen zu können. „Verantwortungsloser könnte ein Politiker nicht handeln“, meinte der CSU-Politiker. Der saarländische Ministerpräsident sei ein „Meister im Schüren böser Stimmungen des Neides und der Zwietracht“ und gehe „rücksichtslos über die Interessen aller Deutschen“ hinweg.
Tatsächlich hätte die SPD-Führung dem Staatsvertrag ohne die Intervention Lafontaines offenbar auch ohne Nachbesserungen zugestimmt. Das geht aus dem „Tagebuch“ von SPD-Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs in der jüngsten Ausgabe des Parteiorgans 'Vorwärts‘ hervor.
Darin berichtet sie über die SPD-Präsidiumssitzung am 14. Mai - dem Tag nach den für die SPD erfolgreichen Landtagswahlen in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen: „Wir diskutieren den Staatsvertag mit der DDR. Es sind wichtige Änderungen vorgenommen worden, nicht zuletzt auf Druck der SPD in der DDR. (...) Aber wir denken, jetzt ist der Staatsvertrag ein faires Angebot an die DDR.“
In einem weiteren Punkt ist das „Tagebuch“ von Anke Fuchs inzwischen von der Wirklichkeit überholt worden. Sie berichtet unter dem 16.Mai über Beratungen mit der DDR-SPD: „Uns ist klar, daß dies die letzte Phase vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages ist. Wir formulieren unsere Haltung dazu in engster Abstimmung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen