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Sehen und gesehen werden

■ Die eigentlichen Stars der French Open 1990

P R E S S - S C H L A G Rette sich, wer kann. Wer in diesen Tagen in Paris in aller Ruhe ein Tennismatch beobachten will, findet sich schnell auf verlorenem Posten. Unüberschaubar sind die Menschenmassen, die das Roland-Garros-Stadion wie eine Festung belagern. Ohne gültige Eintrittskarten, versteht sich. Für die Zehntausende von Menschen , die hier herumschwadronieren, gibt es selbstverständlich nicht genügend Sitzplätze, geschweige denn Tennisstars. Aber das macht ja auch nichts. Die wenigsten sind hier, um sich irgendein langweiliges, vierstündiges Spiel anzuschauen. Und überhaupt: Von der Mehrzahl der Sitzplätze kann man ohnehin nur schwerlich erkennen, welche „Persönlichkeit“ denn gerade den Ball über das Netz haut. Aber selbst dieser Umstand hat seinen Vorteil. Schließlich sieht eine Gabriela Sabatini allemal viel schöner auf ihren Werbeplakaten aus, als verschwitzt und verstaubt auf roter Asche.

Das natürlich wissen all jene, die einmal in ihrem Leben ihre Starallüren ausleben wollen. Promenieren ist angesagt zeigt her eure Füße, zeigt her eure Schuh‘. Von zehn ZuschauerInnen der French Open laufen gut und gern acht in Tennisschuhen herum. Sieben davon tragen einen Trainingsanzug und sechs von ihnen schleppen eine Tennistasche über der Schulter kreuz und quer durch die Spielanlage. Das sind immerhin 60 Prozent! An einem gut besuchten Spieltag meint man folglich, von 12.000 Tennisprofis umgeben zu sein.

Noch verdächtiger macht die ganze Angelegenheit, daß ein beträchtlicher Teil jener Bekleidungsstrategen verblüffende Ähnlichkeiten zu Menschen wie Edberg, Graf, Becker und Sabatini auf deren schönsten Postern aufweist. Für AutogrammjägerInnen - das sind etwa die 8.000 verbleibenden sogenannten ZuschauerInnen - ein gefundenes Fressen.

Die echten Tennisstars gibt es hier schlichtweg äußerst selten zu sehen. Und die Gerüchte verdichten sich, daß es sie in Wirklichkeit vielleicht gar nicht gibt. Wenn man, wie ich, sagen wir durch höhere Gewalt, in den Besitz eines jener wenigen und heißbegehrten Trainerausweise gekommen ist, die einem hier so ziemlich jede Tür öffnen, gehört man automatisch zu der Schar der ungewollt Verfolgten. An jeder Ecke wimmelt es nur so von Leuten, die ein Autogramm begehren. Verweigert man sich der unbewußt gewonnenen Fangemeinde, läuft man automatisch Gefahr, angepöbelt und ausgebuht zu werden. Folgerichtig habe ich allein heute dreizehnmal mit Muhammad Ali unterschrieben, was allseits mit größter Bewunderung und Dankbarkeit bedacht wurde. Am Ende mußte ich dann unter Polizeischutz in die Spielerkabinen fliehen.

Was soll's: die eigentliche Tennishysterie spielt sich eben nicht auf den Sandplätzen ab. Das Chaos fängt ja schon frühmorgens an, wenn die Spielerinnen und Spieler am Hotelausgang auf den Roland-Garros-Fahrdienst warten. Nur mit äußerst viel Geduld können sie diese erste Tagesstrapaze überstehen. Glücklich ist derjenige, der innerhalb einer Dreiviertelstunde einen Platz in irgendeinem Wagen ergattert. In der Zwischenzeit haben sich nämlich allerlei Verdächtige in Tennisklamotten - ohne Markenzeichen - in die Vehikel gedrängelt. Es ist immer noch kaum zu fassen, wie viele Deutsche doch in dieser unserer Zeit ins Ausland reisen können! Am Stadion angekommen, hagelt es dann eine Salve von Autogrammwünschen, denen sie selbstverständlich nachkommen. Spitzensport hin, Spitzensport her - the show must go on.

Ralf Stutzki (Paris)

2. Runde, Männer: J. Sanchez - Rebolledo 6:4, 7:6, 6:2; Agassi - Woodbridge 7:5, 6:1, 6:3; Arrese - Santoro 4:6, 6:3, 6:2, 6:2; Courier - Srejber 7:6, 6:1, 2:6, 6:2; Tschesnokow - Fleurian 7:6, 6:2, 6:0; Davin - Mancini 6:3, 5:7, 7:5, 6:1; Anderson - Marques 7:5, 6:3, 6:1; Azar Strelba 3:6, 6:4, 4:6, 6:3, 6:4; Kulti - Hlasek 6:2, 6:4, 6:4; Boetsch - Bloom 6:2, 6:1, 6:0; Perez-Roldan Tscherkassow 7:5, 6:4, 6:3; Chang - Rosset 7:5, 4:6, 6:4, 6:3; Noah - Sznajder 6:4, 5:7, 6:4, 6:4; Svensson - Bruguera 2:6, 2:6, 6:4, 6:4, 6:0; Bergström - Wilkison 6:4, 6:2, 6:1.

Frauen: Mercedes Paz - Arantxa Sanchez 7:5, 3:6, 6:1; Tarabini - Kohde-Kilsch 3:6, 6:1, 6:4; Halard - Medwedewa 6:2, 4:6, 6:4; Sviglerova - van Rensburg 6:3, 7:6; K. Malejewa - Faber 7:5, 6:1; Provis - Pampoulowa 6:4, 6:2; Martinez - Etchmendy 7:6, 6:3; Tauziat - Hack 6:2, 3:6, 6:3; Lapi - Javier 6:1, 6:1; Novotna - Schultz 6:3, 6:1; Cecchini - Amiach 6:2, 6:1; Benjamin - Hu Na 7:6, 6:3; Temesvari Simpson 7:6, 6:2.

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