: „Beckenbauer ist verrückt“
Dr. Christian Soboth, Leiter des Instituts für empirische Fußballforschung in Herne, über WM-Trends und -Chancen ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Dr. Soboth, die Phase der Vorbereitung ist zu Ende. Ganz kurz: Wie sieht die deutsche Mannschaft aus, wie weit wird sie kommen?
(Schluchz, schluchz)
Herr Doktor, Fassung!
(Schluchz) Das Spiel am Mittwoch... Arbeit auf Jahre kaputt...
Wie bitte? Das müssen Sie erklären.
Die empirische Fußballforschung braucht, Verzeihung (Schluchz) - verläßliche Basisdaten, und was macht der Beckenbauer?
Ja, was macht er?
Wechselt kunterbunt durch die Gegend, 21 Leute in einem Spiel, der ist verrückt.
Sehen wir, Herr Doktor, vom Spiel gegen Dänemark ab, wie ist der Stand der Wissenschaft?
(Lacht) Gut! Ganz große klasse.
Ja, und?
Nehmen wir die letzten fünf großen Turniere, also bis zurück zur Europameisterschaft 1980 in Italien, so läßt sich ganz klar sagen: Zwischen der Aufstellung des Teams im letzten Vorbereitungsspiel und der des letzten Turnierspiels besteht eine ganz enge Korrelation.
Das heißt konkret?
Das heißt, wer am Mittwoch gespielt hat, spielt mit ganz großer Sicherheit auch in einem eventuellen Halbfinale oder Finale.
Kein Wunder, bis auf Illgner haben ja alle...
...(Schluchz) Das ist es ja.
Es läßt sich damit nur noch eine sehr globale Aussage treffen.
Leider. Bisher war das anders. Die EM '88 zeigt: Keiner kam neu ins Team! '86 in Mexiko waren es sensationell drei Mann
-die Torhüter mal ausgenommen, denn das hat Tradition: Beim letzten Test darf auf diesem Posten die Reseve ran. Nur: Auf dem Feld steht die Mannschaft sehr früh.
Immer schon?
Ja, ja. EM '84: Da spielte sich nur der Bremer Meier neu ins Team. Bei der WM '82 waren es Kaltz und Dremmler. Die gewonnene EM 1980 sah lediglich den Wechsel Stieleke für Cullmann, aber das war klar. Wir registrieren also in fünf Turnieren nur sieben Abweichungen zwischen letztem Test und letzter Turnierelf, ist doch irre, was?
Statistisch gesehen hat also kaum mehr als ein Spieler, der am Mittwoch nicht zum Einsatz kam, berechtig Hoffnung, auch in der Endrunde zu kicken?
Genau, genau.
Das ist der Illgner!
(Schluchz) Bitte, erinnern Sie mich nicht.
Was nun, Doktor Soboth?
Wir sind um Jahre zurückgeworfen. Dieser Beckenbauer. Was macht alles noch für einen Sinn? Mein Computer wird mich auslachen. Herr Beckenbauer achtet die Wissenschaft nicht, das ist doch keine Zusammenarbeit, ich bitte Sie.
Danke, Herr Doktor, daß Sie sich die Kraft genommen haben für das Gespräch.
Interview: Herr Thömmes
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen