: Blockieren Machos die Verkehrswende?
Die Bevölkerungsminderheit 20 bis 60jähriger Männer ignoriert den Wunsch der Gesamtbevölkerung nach einer radikalen Änderung in der städtischen Verkehrspolitik ■ Von Florian Marten
Motorisierter Individualverkehr kontra Füße, Fahrrad oder öffentlicher Nahverkehr - die Stimmungslage der Bevölkerung in den europäischen Städten hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Während der Motorisierung in fast allen Städten kräftig zunahm (in Düsseldorf etwa hat sich die Zahl der Pkw-Pendler während der letzten 20 Jahre auf über 700.000 verdoppelt), stieg die Ablehnung des Autoverkehrs in atemberaubenden Tempo. Beispiel Graz: Wollten 1973 immerhin schon 53 Prozent der GrazerInnen den Autoverkehr einschränken, so stieg dieser Wert über 81 Prozent (1985) auf 85 Prozent im Jahr 1989.
Für die städtische Einwohnerschaft der BRD ist der „Verkehr“ das kommunale Problem Nummer Eins, weit vor Wohnen, Arbeit und sonstigen Umwelt- und Sozialproblemen. Dies ermittelte das Münchner Forschungsinstitut Socialdata. Dabei haben die BürgerInnen klare Vorstellungen über die Lösung des Verkehrsprobleme: Drei Viertel von ihnen sind für die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs auf Kosten von Privat-Pkws. Dabei schwankt die Zustimmung zwischen 70 Prozent (im Ruhrgebiet) und rund 90 Prozent in den BRD -Metropolen Hamburg, München und Berlin (Spitzenwert mit 95 Prozent). Auch die Förderung von Fußgänger- und Radwegen kommt auf Zustimmungswerte von weit über 60 Prozent.
Diese Trendwende im öffentlichen Bewußtsein drückt sich auch in der direkten Beurteilung der Verkehrsmittel aus: So hat zwar der Pkw im direkten Vergleich mit dem öffentlichen Transportmitteln bei den Kriterien „bequem, praktisch und schnell“ leicht die Nase vorn, liegt aber bei den Eigenschaften „stadtverkehrsgerecht, umweltfreudlich und innenstadtentlastend“ sehr weit hinten. Der öffentliche Nahverkehr hat im Vergleich bereits ein viel besseres Image, als viele vermuten.
Warum aber klaffen allgemeines Bewußtsein und kommunalpolitisches Handeln noch so weit auseinander - trotz erster positiver Ansätze in den rot-grünen Cities? Für Werner Brög, Chef der Socialdata, Mann und 45 Jahre alt, liegt das Problem bei den männlichen Machern. Während sich nämlich in der Gesamtbevölkerung 75 Prozent für eine Förderung des öffentlichen Nahverkehrs zulasten des Privatautos aussprechen, haben die Verkehrsmacher etwas ganz anderes im Kopf. Befragt, wie sie die Stimmung in der Bevölkerung einschätzen, antworteten 68 der Kommunalpolitiker, 61 Prozent der Verbandsfunktionäre, 58 Prozent der Journalisten, 55 Prozent der Verkehrsplaner und sogar noch 51 Prozent der Mitarbeiter öffentlicher Verkehrsbetriebe: Die Bevölkerung wolle mehr Autos statt öffentlichem Verkehr.
Diese krasse Fehleinschätzung führt Brög auf die persönliche Lebensweise zurück - Sein bestimmt das Bewußtsein. Teilt man die Bevölkerung in vier etwa gleich große Gruppen (Jugend bis 19 Jahre, Frauen zwischen 20 und 59, Männer zwischen 20 und 59, Menschen über 60) ergibt sich ein interessantes Bild der Verkehrsmittelwahl: Während die Alten 72 Prozent, die Jugend 71 Prozent und die Frauen noch 51 Prozent ihrer Wege mit Verkehrsmitteln des Umweltverbundes, als autofrei zurücklegen, ist allein im Bevölkerungsviertel der Männer zwischen 20 und 59 die privatmotorisierte Fortbewegung mit 68 Prozent in der Mehrheit. Kurz: Da Kommunalpolitiker, Verkehrsplaner und so weiter in der überwiegenden Mehrzahl Männer zwischen 20 und 59 Jahren sind, übertragen sie ihre private Befindlichkeit aufs Verkehrsinteresse der Nation.
Diese mackermäßig geprägte Stimmung führt laut Socialdata nicht nur zu einer falschen Verkehrspolitik, sondern auch zu einer falschen Wahl der Verkehrsmittel jedes einzelnen. „Verhalten beginnt im Kopf“, meint Werner Brög. So gebe es eine große Zahl von Menschen (Männern), die eine katastrophale Negativmeinung vom öffentlichen Nahverkehr hätten und deshalb mit dem Auto fahren. So hat Socialdata für Stuttgart ermittelt, daß der heutige Anteil des öffentlichen Personennahverkehrs von 30 Prozent auf bis über 70 Prozent gesteigert werden könnte, gebe es die Sperren im Kopf nicht.
Brögs Schlußfolgerung: Neben einer Angebotsverbesserung bei den „Öffentlichen“ ist eine Imagekampagne notwendig, welche die Überlegenheit der Fortbewegung ohne Automobil aufzeigt. In Zürich hatte eine solche Kampagne europaweit beispiellosen Erfolg: Dort ging in dem kurzen Zeitraum zwischen 1984 und 1988 der Autoverkehr von 33 auf 29 Prozent zurück, der öffentliche Personennahverkehr legte von 34 auf 42 Prozent zu. In Zürich ist sogar die Zahl der AutobesitzerInnen rückläufig.
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