SPD: Fristenregelung der DDR hat Vorteile

SPD-Hearing: „Wie weiter mit dem Paragraphen 218?“ / DDR-Regierung rückt von der Fristenregelung ab / Gibt es eine Übergangslösung? / Großdemonstrationen in Ost und West gegen den Paragraphen 218 am 16. Juni  ■  Aus Bonn Helga Lukoschat

Vorerst, so zeichnet es sich in der politischen Auseinandersetzung ab, bleibt den Frauen der DDR der Paragraph 218 erspart. Zumindest gab sich bei dem gestrigen SPD-Hearing „Wie weiter mit dem § 218“ der Bundestagsabgeordnete Hans de With optimistisch. De With ist Obmann seiner Partei im Rechtsausschuß des Bundestags, und er setzt darauf, daß sich zeigen werde, daß die in der DDR geltende „Fristenregelung Vorteile hat“. Er setzt sich daher - wie der Justizminister der DDR Kurt Wünsche - für eine Übergangslösung ein: Sie könne den Boden für eine „bessere Entwicklung bereiten“.

Nicht alle TeilnehmerInnen des Hearings waren so hoffnungsfroh: Zum einen wurde befürchtet, es könnte nach einem Beitritt der DDR nach Artikel 23 sofort zu einer Verfassungsklage gegen die Fristenregelung kommen. Zum anderen sprach ein Mitarbeiter von Pro Familia stellvertretend für viele die Befürchtung aus: „Von alleine wird sich nichts entwickeln.“

Auch wer bisher geglaubt hatte, die Verteidigung der Fristenlösung gehöre zu den Essentials der DDR-Regierung, wurde durch die Berichte der Parlamentarierinnen der SPD-Ost eines besseren belehrt. „In der DDR ist eine Untergrundkampagne gegen die Fristenregelung im Gange“, befand Angelika Barbe, Vorsitzende des Volkskammerausschusses für Frauen und Familie.

Beispielhaft für den neuen Wind war für die SPD-Politikerin die Rede des CDU-Abgeordneten Altmann, in der er in einer für die DDR bis dahin unbekannten Weise die „Tötung des ungeborenen Lebens“ an den Pranger gestellt und das „Schreckgespenst einer sterbenden Nation“ an die Wand gemalt hatte.

Was also tun? Die Frauen der SPD/DDR planen am 16. Juni, wenn in Bonn eine große Frauenkundgebung gegen den § 218 stattfindet, gleichfalls auf die Straßen zu gehen. Die Familienministerin der DDR, Christa Schmidt (CDU), sammelt Unterschriften für die Fristenlösung, um sich ein Bild über den Umfang der Unterstützung zu machen; eine weitere Unterschriftenliste kursiert in christlichen Kreise, denn mit Recht wird befürchtet, Teile des Klerus könnten ihrerseits mobil machen.

Allerhöchste Zeit also, politische Strategien zu formulieren, die über die Überganzszeit hinausdenken und die Richtung künftiger Entscheidungen festlegen. Hier allerdings gehen die Meinungen auch innerhalb der SPD und zwischen SPD und autonomen und grünen Frauen noch weit auseinander. Renate Schmidt, stellvertretende Fraktionsvorstitzende und prominenteste „Frauenfrau“ der SPD will bereits im Vorfeld, in einem zweiten Staatsvertrag zu verfassungsrechtlichen Fragen, festschreiben, daß künftig in die Verfassung „ein Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft“ aufgenommen und eine gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in Angriff genommen wird. Dabei soll die Straffreiheit der Schwangeren in allen Fällen gewährleistet sein, Strafvorschriften nur für Ärztinnen und Ärzte gelten, wenn sie bestimmte Vorschriften verletzten.

Endlich Rechtssicherheit

Ob die Frist zwölf Wochen wie in der DDR oder 22 Wochen betragen soll, wie es die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen fordert, ist für Renate Schmidt dabei eine nachgeordnete Frage, „über die noch viel Zeit zum streiten bleibt“. Ihr ist wichtig, einen Konsens zu formulieren, „der uns über die nächsten Monate hinweghilft“.

Sprich: Im zweiten Staatsvertrag, den sie für die zweite Jahreshälfte kommen sieht, müssen die Forderungen der Frauen an den Einigungsprozeß deutlich werden. Die Aufnahme eines „Rechts auf selbstbestimmte Schwangerschaft“ begründet die SPD-Politikerin damit, für Frauen endlich „Rechtssicherheit“ zu schaffen. Die Pflicht des Staates zum „Schutz des ungeborenen Lebens“ - auch das soll in die Verfassung - soll auf entsprechende Hilfen beschränkt werden und strafrechtliche Maßnahmen ausschließen.

Vielen Frauen, die an dem Hearing teilnahmen, war dieses Vorgehen jedoch zu defensiv. So warb eine Berliner SPDlerin vehement dafür, die „Gunst der Stunde“ zu erkennen, und bereits jetzt eine Verfassungsänderung herbeizuführen. Eine Initiative „Frauen in bester Verfassung“, (hier federführend die profilierten §-218-Gegnerinnen Susanne von Paczensky und Renate Sadrozinski) macht sich gleichfalls dafür stark, sofort in die Diskussion einzutreten und verlangt die Formulierung von Grundrechten für Frauen.

Wobei die geforderte „Verfassungsdiskussion“ durchaus noch nebulöse Formen hat. Während diese Diskussion, die sich um die Frage der notwendigen Zweidrittelmehrheit herumdrückt, vorwiegend in Kreisen geführt wird, die der SPD nahestehen, lautet bei den autonomen und grünen Frauen die Forderung: ersatzlose Steichung des Paragraphen 218. Das soll zentrales Wahlkampfthema werden, die Parteien unter Druck setzen.

Keine Chance für Klage

Einer Klage gegen die Fristenlösung in der DDR gab Renate Schmidt keine Chance. Ihrer Ansicht nach müßten im Rahmen des Einigungsprozesses Übergangsregelungen gefunden werden, die nicht beklagt werden dürften. Diesen politisch rechlich eher bedenklichen Vorschlag versuchte Hans de With etwas abzubiegen, indem er versicherte, daß eine solche Klage wohl „ins Leere“ gehen würde.

Allerdings gab er zu verstehen, daß auch im Rahmen der Fristenlösung in der DDR ein „Beratungssystem nach Art der BRD“ eingeführt werden könne. Das würde auch für mögliche Klagen von großer Bedeutung sein und die richterlichen Entscheidungen positiv beeinflussen. Aber das könnte sich, so die Befürchtung vieler TeilnehmerInnen als politisch fatal erweisen.

So forderte auf dem Hearing eine SPD-Politikerin aus Halle bereits die Beratungspflicht. Erst nach Intervention ihrer westlichen Kolleginnen stellte sie richtig, daß sie ein „Recht der Frauen“ auf Beratung gemeint habe.