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Coca und Guerilla in Perus Garten Eden

■ Im Departement San Martin ist die Guerillaorganisation MRTA die wichtigste Ordnungsmacht / Der Kampf für eine autonome der Zentralregierung ruiniert die Siedler und führt zur Ausweitung des Cocaanbaus / Zunehmende Konflikte Region eint Städter und Bauern / Die Agrarpolitik mit der konkurrierenden Guerilla „Sendero Luminoso“

Nina Boschmann

In San Martin beginnen Gespräche mit Alteingesessenen stets mit dem gleichen Satz: „Früher war das hier ein Paradies.“ Ein Garten Eden also, wo Mangel ein Fremdwort war; keine Frucht, die hier nicht gedieh; die Fischerei ein Kinderspiel, der Ackerbau ein Privileg.

Auch heute noch bietet sich dem Blick im Huallagatal am Ostabhang der Anden eine schöne Landschaft aus sanftgewellten bewaldeten Hügeln und fruchtbaren Ebenen, in denen die Wasserflächen der Reisfelder funkeln. Regenschauer dämpfen die Hitze, bevor sie unerträglich wird. Hier sind die Kinder kräftig, die Gesichter der Frauen zeigen keine Sorgenfalten.

Anders als in den peruanischen Andenstädten, wo nach Einbruch der Dunkelheit die Straßen leergefegt sind, gehört in Tarapoto, dem quirligen Handelszentrum der Region, die Nacht den Motorradfahrern und den Gästen der Gartenkneipen.

Doch die Idylle trügt: im Departement San Martin herrscht Krieg. Seit 1987 ist offiziell der Ausnahmezustand verhängt, die Bevölkerung sieht sich von drei Seiten zugleich bedrängt: von der Zentralregierung im 1.500 Kilometer entfernten Lima, von den Kadern der Guerillaorganisation Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) und von der Cocawirtschaft, die aus dem oberen Huallagatal nach San Martin vordringt.

In den letzten Jahren ist hier eine der stärksten Volksbewegungen des ganzen Landes entstanden, gestützt von den Guerilleros des „Movimiento Revolucionario Tupac Amaru“ (MRTA). Ihr Ziel ist die Autonomie - und die Erfolgsaussichten sind nicht schlecht.

Kein Geld für die Bauern

Entzündet haben sich die Konflikte an einer scheinbar banalen Frage: an der staatlichen Vermarktungspolitik für Agrarprodukte. Während es bei den traditionellen Bauernbewegungen in den Anden stets um die „Landfrage“ ging, sind hier, in der locker besiedelten „Ceja de Selva“, der Amazonasrandregion, die Grundbesitzverhältnisse bislang noch kein Streitthema. Nicht verarmte Kleinbauern kämpfen hier, sondern selbstbewußte, gutausgebildete und informierte Siedler gehen auf die Barrikaden für das Recht, besser zu leben als ihre Vorfahren und an den Vorteilen des kapitalistischen Marktes teilzuhaben.

Früher, vor den ersten großen Einwanderungswellen in den sechziger Jahren, wurde am Huallaga-Fluß eine Vielfalt von Agrarprodukten erzeugt: Bananen, Bohnen, Kaffee, Kakao... Doch Anfang der siebziger Jahre beschloß die damals machthabende, nationalistische Militärregierung, eine neue Entwicklung einzuleiten. Durch Gründung staatlicher Vermarktungsorganisationen und Festlegung von garantierten Mindestpreisen für Reis und Mais sollten die Erträge so gesteigert werden, daß die rasch wachsenden Küstenstädte versorgt werden konnten. Die Landwirte reagierten prompt: innerhalb einer Dekade avancierte San Martin zum größten Maisanbaugebiet Perus. Die Jahresproduktion stieg von 1980 bis 1989 von 30.000 Tonnen auf über 100.000 Tonnen; ähnlich war die Tendenz beim Reisanbau.

Doch die staatlichen Vermarktungsorganisationen entwickelten bald ihre eigene Dynamik. Nach jedem Regierungswechsel wurden sie üppiger mit Personal ausgestattet, schließlich reichten die Einnahmen aus dem Getreideverkauf nicht mehr aus, um die Bauern zu bezahlen, geschweige denn neue Lagerhallen zu bauen.

In den letzten Jahren der Regierung Garcia brach das längst hoch subventionierte System zusammen. 1989 mußten die Reis und Maisproduzenten bis zu sieben Monate auf ihre Garantieeinnahmen - die unterdessen von der rund 3.000prozentigen Inflation weitgehend aufgefressen wurden. 60.000 Tonnen Mais und Reis stapeln sich bis heute in den staatlichen Lagerhäusern, weil auch der einwöchige Transport auf der verfallenen Schotterpiste zu Küste zu teuer geworden ist.

Die Regierung in Lima trat angesichts der Misere souverän die Flucht nach vorn an: Alan Garcia beschloß, die Bauern in der Selva auf ihrer Produktion sitzenzulassen und die letzten Dollars lieber für die Einfuhr zusätzlicher Mengen von Reis und Mais auszugeben. Auf diese Weise konnte er Unruhen in der Hauptstadt verhindern und zugleich den ihm ergebenen Handelshäusern, den sogenannten „12 Aposteln“ einen Gefallen tun.

Barrikaden in San Martin

Statt dessen findet der Aufruhr nun in Tarapoto und Umgebung statt. In immer kürzeren Abständen rufen die Volksorganisationen von San Martin zum Streik auf, immer radikaler werden ihre Forderungen. In den achtziger Jahren hatte noch jede Gruppe allein für ihre Ziele gekämpft: die Bauern für höhere Abnahmepreise, die Beamten für niedrigere Lebensmittelpreise, die Händler für bessere Strassen... Im letzten Jahr hat sich nun, unter Führung der radikalen Linken, ein Bündnis aus Stadt und Land gegen die Zentralregierung gebildet - die „Front zur Verteidigung der Interessen des Volkes von San Martin“ (FEDIP-SAM).

Lukas Cachay, unangefochtener Führer der „Front“ und Aktivist der - gerade noch legalen - Linkspartei UDP ist optimistisch: „Mittlerweile unterschreiben sogar Leute aus den rechten Parteien jede Resolution gegen den US -Imperialismus und seine Lakaien.“ Andererseits hat man auch in der FEDIP-SAM so manchem liebgewonnenen Feindbild adieu gesagt. „Es gab hier Leute, die meinten, es sei schon Klassenkampf, gegen einen kleinen Ladenbesitzer zu stänkern, bloß weil er ein Auto hat. Diese Phase haben wir überwunden

-der Feind sitzt woanders.“

Der „Macht des Volkes“, wie die UDP sie sich vorstellt, kamen die beiden letzten Regionalstreiks, im September 1989 und im März diesen Jahres schon sehr nahe. Die Front bestimmte den Gang der Ereignisse: Nach Schichtplan wechselten sich Bauern und Städter auf den Barrikaden ab, damit trotz der Streiks die Ernte eingebracht werden konnte. Es gab keine Zerstörung, keine brennenden Reifen, statt dessen wurden Treffen organisiert, auf denen „Vorlesungen“ über die Volksorganisation, über Gesundheitsdienst und andere Themen von Interesse gehalten wurden. Der Landarzt Dr. Santillan, die Nummer zwei in der Führungsspitze der Front, berichtet voller Stolz: „Wenn die Polizei sich zeigen wollte, bat sie vorher beim Streikkommando um Erlaubnis, auch der Präfekt und die anderen staatlichen Autoritäten taten nichts ohne Genehmigung, und das Militär zog es vor, in dieser Zeit nichts zu unternehmen.“

Sehr wichtig war es den Organisatoren, hohe Staatsfunktionäre nach Tarapoto zu zitieren - dort, „zu Hause“, sollten die Streikforderungen diskutiert werden, und nicht, wie üblich, in Lima, wo die Delegierten dann meist über den Tisch gezogen wurden. Die Regierenden zeigten erheblichen Respekt vor den Regierten: noch auf dem Flughafen wurden die angekündigten Spitzenfunktionäre gegen niedere Chargen ausgetauscht. Die diskutierten eine ganze Nacht mit Volksvertretern in der Kirche von Tarapoto und ließen sich dann im Morgengrauen klammheimlich vom Militär wieder ausfliegen.

Für eine autonome Region

Die Erfahrungen mit der Zentralmacht haben inzwischen auch den Naivsten klargemacht, daß die Probleme von San Martin sich nicht durch die Asphaltierung von Straßen oder die Erhöhung des Reispreises lösen lassen - das ganze Modell ist falsch. Noch einmal Lukas Cachay, der in Tarapoto mit einer Mischung von Respekt und Zuneigung „der Lehrer“ genannt wird: „Es gibt keinerlei Plan für die Entwicklung der Selva. Alle Kontakte mit der Außenwelt liefen auf die unsinnige Ausbeutung der natürlichen Reichtümer hinaus. Was ist vom Kautschukboom geblieben? Nichts! Was ist in den Nachbarprovinzen vom Ölboom geblieben? Kaum ein paar Kilometer befahrbare Straßen. Was haben uns die Holzfirmen gebracht? Klimaveränderungen und Überschwemmungen. Und was hat San Martin davon, die Kornkammer Perus zu sein? Die Fabriken, die die Rohstoffe verarbeiten, sind an der Küste!“

Es gibt genug absurde Beispiele dafür, wie die Regierung in Lima mit dem Hinterland umgeht. Tarapoto, zwischen reißenden Flüssen gelegen, bezieht seinen Strom nicht etwa aus Wasserkraft, sondern aus stinkenden Generatoren. Der Sprit muß von weither geliefert werden, und weil das teuer ist, sitzt jeden Abend die halbe Stadt bei Kerzenlicht.

Nun wurden in San Martin Ölvorkommen entdeckt - die Schürfrechte für zwei Drittel des Territoriums hat Mobil Oil. „Sollen sie nur bohren“, sagt die Front. „Hier wird kein Meter Pipeline gebaut werden. Das Öl bleibt hier, bis die Industrie kommt. Es ist sowieso billiger, statt der Rohstoffe die Fertigprodukte an die Küste zu schaffen.“

Der Plan der Regierung, San Martin im Zuge der „Dezentralisierung“ mit dem Küstendepartement Libertad zu einer Verwaltungsregion zu vereinigen, stößt in der Bevölkerung auf wenig Verständnis: Die kürzlich abgehaltenen Wahlen zum Regionalparlament müssen wahrscheinlich annulliert werden, weil nicht genügend gültige Stimmzettel abgegeben wurden.

Die MRTA als Ordnungsmacht

Im Kampf für eine autonome Region kann die FEDIP-SAM auf tatkräftige Unterstützung durch die Guerilleros des „Movimiento Revolucionario Tupac Amaru“ rechnen, die sich in den letzten Jahren in vielen Dörfern als Ordnungsmacht etabliert haben. In den ersten Jahren nach der Formierung der MRTA machten die jungen Kämpfer (kaum einer ist älter als 35) vor allem durch Überfälle auf Polizeistationen und die Einnahme mehrerer Provinzstädte von sich reden. Inzwischen hat die politische Arbeit größeres Gewicht. Regelmäßige Zusammenkünfte mit den Bauern sollen die lokalen Proteste in die gewünschte ideologische Richtung lenken. Protestaktionen werden dann militärisch gesichert. Öffentliche Verfahren gegen korrupte Polizisten sind als Erziehungsmaßnahmen gedacht, es gibt auch Entführungen und selektive Mordanschläge. Nur selten verschätzt sich die MRTA in der Wahl der Mittel.

In den Dörfern gibt es pluralistische Volksfrontorganisationen. Das bewahrt die Guerilla davor, allzu häufig die gleichen Fehler zu machen. Die Liquidierung dreier Autoritäten im Dorf Pilluana zum Beispiel wurde in der ganzen Bewegung kontrovers diskutiert und schließlich verurteilt. Die Guerilla hatte die Erschießungen - ohne öffentlichen Prozeß - damit begründet, die drei Honoratioren, Mitglieder der Regierungspartei APRA (Amerikanische Revolutionäre Volksallianz, Anm. d.Red.), hätten der Polizei Listen mit den Namen von UDP-Mitgliedern zugespielt. Die Dorfbewohner bewerteten das anders: „APRA hin, Verrat her, sie waren schließlich auch Bauern - welche Klasse verteidigt denn die MRTA?“.Im nächsten ähnlichen Fall konsultierten die Companeros die Bauern vorher, und es wurde entschieden, den Verdächtigten nicht zu verfolgen.

Solche Diskussionen tragen in den Dörfern viel dazu bei, das allseits herrschende Faustrecht durch vereinbarte Regeln zu ersetzen. Pilluana verfügt heute über eine selbstgewählte Gemeindeverwaltung, die schließlich sogar von der Regierung anerkannt werden mußte. In den Versammlungen werden die Rechte und Pflichten der Dörfler genau festgelegt, kleinere Delikte verhandelt ein Volksgericht: Wer ein Huhn stiehlt, muß es zurückgeben und zur Strafe auf dem Fußballplatz Unkraut jäten. Wearbeit drückt, wird von den Jugendmilizen zu Hause aufgesucht. Die MRTA hilft auch bei der Feldarbeit, dafür kann sie auf interessierte Zuhörer bei den abendlichen Vorträgen rechnen.

Das Militär, das früher regelmäßig erschien, um Lebensmittel„spenden“ einzusammeln, hält sich mittlerweile sehr zurück. „Die fliegen nur noch mit ihrem Hbschrauber vorbei oder gucken vom anderen Flußufer rüber“, erzählt der neue Bürgermeister Leonicio Barbaran.

Der Cocaboom

Doch einem Problem stehen bislang Volksfront und Guerilla gleichermaßen hilflos gegenüber: der deutlichen Zunahme des Cocaanbaus im mittleren Huallagatal. Dabei ist davon auf den ersten Blick kaum etwas zu bemerken. Anders als in den Anden spielte die Pflanze im Amazonastiefland nie eine große Rolle im Alltagskonsum. Die Felder rechts und links der Straßen sehen ganz unverdächtig aus, und auf dem Markt von Tarapoto sucht man vergeblich nach den grünen Blättern. Das Stadtbild ist nicht geprägt von Mafiosi-Gestalten und Bodyguards - im oberen Huallagatal sieht das ganz anders aus.

Und doch geht man davon aus, daß die Anbaufläche für Coca längst alle etablierten Agrarkulturen übertrifft: 100.000 bis 180.000 Hektar sollen es sein, abseits der Verkehrswege, auf kleinen Parzellen, umgeben von dichtem Wald. Ein diskretes Geschäft im Niemandsland, an dem jeder teilhaben darf: der Reis- und Maisbauer, der von der staatlichen Agrarpolitik die Nase voll hat, der arbeitslose Jugendliche, der nichts Besseres zu tun hat... Im heißen Klima von San Martin sind die Erträge und der Alkaloidgehalt der Pflanzen zwar nicht ganz so hoch wie im kühleren oberen Teil des Tales, doch dafür ist das Risiko weit geringer. Hier gibt es noch keine Entlaubungsaktionen der amerikanischen Drogenbehörden, die Kokainbase wird von den Bauern vor Ort hergestellt. Die Aufkäufer kommen zu Pferd oder mit dem Motorboot, ein paar Scheine wechseln den Besitzer... 15 neue Bankfilialen in Tarapoto, einer Stadt mit 50.000 Einwohnern, zeigen an, welche Mengen von Dollars hier „gewaschen“ werden. Das Kabelfernsehen, ein teurer Luxus, verzeichnet rege Nachfrage, und auch die vielen nagelneuen Hondas auf den Straßen lassen auf eine gewisse Kaufkraft schließen.

Das Militär, daß immerhin sein Hauptquartier in Tarapoto hat, scheint nicht einmal in der Lage, den Luftraum zu kontrollieren. Von geheimen Kleinflughäfen in der Region starten täglich etwa sieben Flüge, im Januar hoben sogar vom Flughafen der Stadt zwei Flieger mit Kokainpaste ab. In San Martin hat man dafür eine recht simple Erklärung: Keiner geht leer aus und gezahlt wird nach dem militärischen Rang.

Wenn alle profitieren, wo liegt dann das Problem? Die Hauptargumente gegen die Cocawirtschaft beziehen sich in der Tat nicht auf die materielle Seite. Die Bauern, die wochenlang auf die Cocaparzellen verschwinden, kämen ihren familiären Verpflichtungen nicht nach, heißt es. Das schnelle Geld verderbe die Jugend und zerstöre den Gemeinschaftssinn. Neid, Mißgunst und Raub unter den Nachbarn nähmen zu. Lehrer berichten von hohen „drop-out„ -Quoten in den Sekundarschulen.

Aber der hohe Bedarf an Arbeitskräften für den Cocaanbau treibt auch die Löhne für die traditionelle Landarbeit in die Höhe. Die vielen Zugewanderten, die im Urwald ihr Glück versuchen wollen, schaffen neue, unübersichtliche Verhältnisse.

Und mehrfach schon sind in letzter Zeit im Guallabambatal einer bekannten Cocazone - Einheiten des „Sendero Luminoso“ aufgetaucht. Man nimmt an, daß sie neue Einnahmequellen und sichere Rückzugsgebiete suchen, nachdem die Lage im oberen Huallagatal zu unsicher geworden ist. Die MRTA reagiert hart und kompromißlos: „Früher haben wir noch gesagt, das sind arme Verwirrte, man muß sie retten - aber sie sind einfach zu gefährlich.“ Konflikte sind vorprogrammiert; auch viele Volksorganisationen stellen neuerdings fest, daß die Jugendlichen von der Cocaernte in Gebieten, die von Sendero beherrscht werden, „merkwürdig verwandelt“ zurückkommen. Man fürchtet, daß es Pläne zur systematischen Infiltration gibt.

Außerdem sind auch die Coca-Dollars so sicher nicht mehr. In den letzten Monaten, nach verschärften Grenzkontrollen in Kolumbien, sank der Preis für Kokainpaste im Huallaga um mehr als die Hälfte auf 150 Dollar pro Kilo.

„Da lohnt sich ja fast das Pflücken nicht mehr“, urteilen Bauernführer. Nur: Was lohnt sich schon noch so richtig in San Martin?

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