Marktzinsen schüren Mieterängste

■ Die Arbeiterwohnungsgenossenschaften in Ost-Berlin befinden sich in Finanznöten / Die Umwandlung in Wohnungsbaugenossenschaften nach westlichem Vorbild steht zur Diskussion / Die Regierung kümmert sich bislang nicht um die Sorgen der Mieter

Friedrichshain. Jeder 5. Ostberliner ist Mitglied in einer Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG). Die Mieter sind durch ihre Aufbaustunden und finanziellen Anteile mit rund 15 Prozent am Wert ihrer Wohnungen beteiligt. Doch die AWGs stecken in einer Finanzklemme. Unsicherheit macht sich nun breit, denn zur marktwirtschaftlichen Zukunft der AWGs hat sich die Regierung bisher nicht geäußert. Die AWG-Mitglieder befürchten, alleingelassen zu werden mit den Anpassungsproblemen der Genossenschaften.

Der im März gegründete Interessenverband der Berliner AWG -Mitglieder will den befürchteten „Raubrittermaßnahmen“ des freien Wohnungsmarktes vorbeugen und klare Entscheidungen von oben erzwingen. Wichtigste Frage: Wie begegnet man dem Schuldenberg? Schwindelig wird es dem amtierenden Geschäftsführer der 5.300 Mitglieder zählenden AWG Friedrichshain, Schlöttig, bei dem Gedanken an die laufenden Kreditrückzahlungen. „Unsere Kredite belaufen sich auf rund 200 Millionen Mark. Sie werden zur Zeit mit nur einem Prozent jährlich verzinst, vier Prozent trägt der Staatshaushalt.“ Würde allein diese Stützung entfallen, hätte die AWG eine Zehn-Millionen-Mehrbelastung zu tragen. Letztlich müsse das einfach Auswirkungen auf den Geldbeutel der MieterInnen haben. „Dazu kommt allerdings noch, daß im Zuge der Anpassung an das BRD-Banksystem Zinsen von sieben bis 14 Prozent auf uns zukommen.“

In einer nun dem Magistrat vorgelegten Liste von Forderungen „bittet“ frau/man nun um völlige Tilgung der Kredite, also um „Entschuldung“, sowie um Klärung der rechtlichen Unsicherheiten wie die der Eigentumsverhältnisse. Dazu kommt, daß der Grund und Boden, auf dem die Wohnbauten der Genossenschaft stehen, nicht ihr, sondern dem Staat gehören. „Die AWG hat nur das Nutzungsrecht“, so Schlöttig. Doch ohne den Boden als Hypothekengrundlage „wird uns jede Bank in Zukunft einen Kredit versagen“, so befürchtet Schlöttig.

Konkrete Aussagen über die Zukunft der Genossenschaft sind so nicht zu treffen. Aber die Mitglieder wollen wissen, was aus ihren Wohnungen wird. Schlöttig sieht die Chance in einer „Umbildung in eine Wohnungsbaugenossenschaft e.V. nach westlichem Vorbild. Denkbar sind Mieten, die denen des sozialen Wohnungsbaus der BRD entsprechen.“ So an die 6 bis 7 DM werden dort pro Quadratmeter gezahlt. 18 DM schießt in etwa der Staat vor. Allerdings sei mehr Verantwortung der Mieter vonnöten, und zwar in punkto Sauberkeit und Sparsamkeit. Die Mieter werden die noch zu installierenden Thermostate niedrig drehen müssen, um die nicht mehr subventionierten Kosten der Fernwärme zu senken. Wasseruhren sind auch im Gespräch.

Mit Mehreinnahmen aus Mieten verspricht sich die AWG erst einmal, die zum Teil heruntergekommenen Wohngebäude auf „Normzustand“ zu bringen. Großer Vorteil der Friedrichshainer gegenüber anderen AWGs ist der Reparaturbetrieb mit 50 Handwerkern. Er könne als GmbH neben den Dienstleistungen für die Genossenschaft auch expandieren. Was am Ende für jeden Mieter investiert werden kann, hängt allerdings entscheidend von den kommenden Zinsbelastungen ab. Und wenn der Staat nicht bald entscheidet, dann werden die Zinsen die AWGs erdrücken.

Joachim Hänsch