: Wir sind ein Paar, alles klar?
■ Fotoausstellung zur Situation behinderter Paare im Martinshof eröffnet / Sexualität neues Thema
„Freundschaft und Liebe zwischen Behinderten sollen zur Normalität werden, wie wir alle sie für uns beanspruchen“, so die Senatorin für Jugend und Soziales, Susanne Uhl, in ihrem „Geleitwort“ zu der Ausstellung „Wir sind ein Paar alles klar!??“, die gestern im Martinshof vorgestellt wurde. Die Fotos und Texte über einen Bildungsurlaub von sechs behinderten Paaren sind bis zum 28. Juni im Haupthaus des Martinshofes, Buntentorsteinweg 24 zu sehen (täglich von 8 bis 16 Uhr, freitags bis 14 Uhr). Der Wunsch nach einer gemeinsamen Wohnung, die Bewältigung von Beziehungsproblemen'die Anwendung verschiedener Verhütungsmethoden und das Für und Wider gemeinsamer Kinder werden auf den Stellwänden mit einfachen Mitteln gut nachvollziehbar thematisiert.
Wieviel Zündstoff das Thema enthält, nicht nur durch die Neuauflage der Euthanasie-Debatte durch den australischen Wissenschaftler Peter Singer, erfuhren die MitarbeiterInnen des Martinshofes schon bei der Diskus
sion mit den Eltern der Behinderten über die Ausstellung. Angesichts der auf die Stellwände geklebten Präser, einer nackten Schwangeren und der Auflistung von Argumenten für oder gegen gemeinsame Kinder wurden massive Ängste mobilisiert. Viele Eltern befürchteten, mit der offenen Thematisierung der Sexualität von Behinderten könnten „schlafende Hunde geweckt“ werden. Eltern, die zweifellos im Zusammenleben mit einem behinderten Kind schon viele Probleme bewältigen mußten, befürchten nun, möglicherweise noch mit einem behinderten Enkelkind belastet zu werden.
Die Diskussion darüber landet nach Auskunft von Norbert Cischinsky, der als Psychologe am Martinshof arbeitet, sehr schnell bei Stichworten wie „Euthanasie“ und „Zwangssterilisation“.
In den Werkstätten des Martinshofes arbeiten 1.200 behinderte Frauen und Männer ab 18 Jahren. Der Leiterin der Werkstatt Bremen, Hannelore Stöver, ist lediglich ein Fall eines behinderten Paares mit Kind bekannt.
„Kinder von behinderten Paaren sind allein schon deshalb kein 'quantitatives‘ (Anm: Die Anführungszeichen will Frau Stöver ausdrücklich mitgesprochen wissen) Problem, weil der größte Teil der Frauen sterilisiert ist“, erklärt sie. Bis Anfang der 80er Jahre sei die Sterilisation von behinderten Frauen und Mädchen gängige Praxis gewesen: kaum problematisiert, von den Eltern oft gewollt und von Ärzten bereitwillig ausgeführt. Erst in den letzten Jahren sei das „Recht der Behinderten auf Sexualität als Bestandteil ihrer Menschenwürde“ ein Thema geworden.
Daß das Zusammenleben behinderter Paare noch keineswegs ein selbstverständliches Recht, sondern die große Ausnahme ist, macht auch die Wohnungssituation deutlich. Zwar sind in Bremen die Zeiten vorbei, in denen es getrennte Frauen- und Männerwohnheime für Behinderte gab. Wohngruppen und Heime mit Wohnungen für Paare sind aber nach wie vor Mangelware. „Die Träger würden hier gerne mehr tun“, versichert Hannelore Stö
ver, „wir stoßen da aber an materielle Grenzen.“ Auf dem sogenannten freien Wohnungsmarkt haben Behinderte nahezu keine Chancen.
Die Ausstellung ist Teil eines Modellprojektes, das seit 1989 vom Bundesgesundheitsministerium finanziert wird. Noch in der Ära Rita Süssmuth wurde das Projekt, das unter „Aidsprävention für eine besondere Zielgruppe“ firmiert, bewilligt. Ausgehend von der Erkenntnis, daß zwar die „normale“ Aidsaufklärungskampagne, nicht aber die Ansteckungsgefahr, an den Behinderten vorbeigeht, wurden aus Bonn 600.000 Mark für ein Modellprojekt mit sexualpädagogischem Schwerpunkt bewilligt.
Die Ausstellung ist voraussichtlich ab 28. Juni auch im Rahmen der Veranstanstaltungsreihe „Lebensqualität statt Qualitätskontrolle des menschlichen Lebens“, organisiert vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und mehreren Behindertenorganisationen, im Bürgerhaus Weserterassen zu sehen.
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