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Warschauer Pakt lebt weiter

Erst mit der Reform der Nato kann neues europäisches Sicherheitssystem entwickelt werden  ■ K O M M E N T A R E

Was könnte die Veränderungen im Warschauer Pakt sinnfälliger ausdrücken als dessen Treffen in Moskau. Wenn neben Gorbatschow nicht mehr Kadar, Ceausescu oder Honecker sitzen, sondern Vaclav Havel und Jozsef Antall den Ton angeben, ist eine Veränderung sichtbar geworden, bei der man sich fragen muß, was eigentlich der Kitt ist, der alle sieben Bündnispartner noch zusammenhält. Selbst wenn der im eigenen Land als „Deutschenfreund“ apostrophierte ungarische Ministerpräsident für die Auflösung des Paktsystems in naher Zukunft eintritt, so hat er andererseits auch deutlich gemacht, daß selbst seiner Regierung nichts an übereilten Schritten liegen kann. Immerhin spielt bei seiner Position noch der erhebliche antisowjetische bzw. antirussische innenpolitische Druck eine Rolle, der in den anderen Ländern so nicht sichtbar ist.

Im Kern, und das haben Vaclav Havel und Jiri Dienstbier am deutlichsten ausgedrückt, kann es den Verbündeten nicht darum gehen, die Sowjetunion gerade jetzt allein im Regen stehen zu lassen. Der Kitt ist, und da stimmen auch die Polen nach der leidigen Bonner Grenzdiskussion zu, den historisch nur zu gut verständlichen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion Rechnung zu tragen und in die Diskussion einer neuen Friedensordnung in Europa bestimmend einzubringen. Nach wie vor kann die sowjetische Führung, auch aus innenpolitischen Erwägungen, einem Nato-Beitritt Gesamtdeutschlands nicht zustimmen. Und sie kann sich bei dieser Haltung sogar dem klammheimlichen Beifall der kleineren westeuropäischen Staaten sicher sein.

Doch andererseits ist auch Gorbatschows Forderung nach der Zugehörigkeit Deutschlands in beiden Paktsystemen nicht durchsetzbar. Havel und auch Meckel haben in ihren Interviews der letzten Tage richtigerweise auf die notwendige Reform der Nato hingewiesen. Die Nato-Tagung wird zeigen, ob der politische Wille über die ökonomischen Interessen des militärisch-industriellen Komplexes triumphieren kann. Ob nun die von anderer Seite vorgebrachten Gedankenspiele über den Eintritt der Sowjetunion in die Nato oder die Auflösung beider Paktsysteme realistisch sind, sei dahingestellt. Sie zeigen immerhin, daß heute die Phantasie Spielraum hat. Und die sollten auch die einstigen und jetzt sprachlosen Friedenskämpfer entwickeln: denn für die Reform der Nato ist öffentlicher Druck nötig.

Erich Rathfelder

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