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Das Tranchiermesser der Bourgeoisie

■ Zu Claude Chabrols sechzigstem Geburtstag sendet Pro 7 eine Auswahl seiner Filme

Alle Produktionen Chabrols habe ich nicht gesehen. Aber unter den weit über fünfzig Filmen ist nur ein wirklich schlechter: sein jüngster, Dr.M. Schauspieler, Schnitt, Drehbuch, einfach alles komplett daneben.

Heute (Samstag, 23.20 Uhr), wird Der zehnte Tag, von 1971 gezeigt, in dem Orson Welles vorzüglich einen größenwahnsinnigen Millionär spielt, der seine Frau und deren Liebhaber systematisch in den Tod treibt und dann Selbstmord begeht. Zurück bleibt Anthony Perkins, wieder mal als Vollwaise.

Claude Henri Jean Chabrol wird am 24.Juni 1930 in Paris als Sohn eines Apothekers geboren. Er studiert Literatur und natürlich - Pharmazie.

Er geht als Kritiker zur Filmzeitschrift 'Les Cahiers du Cinema‘, legt 1957 mit Eric Rohmer eine Studie über Hitchcock vor und beginnt noch im selben Jahr an der Arbeit zu seinem ersten Film, Die Enttäuschten. Bald verlegt sich der als fröhlicher Workoholic geltende Chabrol auf leichte Unterhaltung. Was die Kritik ihm übelnahm. Sie sah ihren Star der Nouvelle Vague, die jenseits des etablierten Films nach neuen Wegen suchte und der Chabrol sich mit seinen ersten Produktionen zuordnen ließ, schon an den Klippen des billigen Konsumkinos und des Fernsehens zerschellen.

Chabrol selbst: „Wenn sie (die Zuschauer) denken wollen gut! Wenn nicht, verdienen sie, unterhalten zu werden.“ Sprach's und fuhr unbeirrt fort, hübsche kleine Kriminalgeschichten zu drehen.

Doch Chabrols Milieu ist das bürgerliche. Es sind die großen und kleinen Lügen der Spießer, ihre Doppelmoral, Heuchelei, Haß und Eifersucht und die vielen anderen Abhängigkeiten, auf die man sich der Gier, dem Schein und der Ordnung zuliebe eingelassen hat. Es entstehen bitterböse kleine Studien über den Zerfall einer reichlich dekadenten Gesellschaft, die nicht im Traum daran denkt, sich zu ändern.

Seine eigentliche Wende zum erbarmungslosen Analytiker des Würgertums vollzog Chabrol Mitte der sechziger Jahre. In Staccato-Intervallen folgen mit Zwei Freundinnen,'67, Die untreue Frau, '68, Das Biest muß sterben,'69, Der Schlachter, '69 (mein Lieblingsfilm), Der Riß (11.6., 20.10 Uhr, Pro 7), '70 und Vor Einbruch der Nacht, '70, eine Folge von Meisterwerken, in denen er uns wie ein eifrig von Fall zu Fall eilender Top-Chirurg der Bourgeoisie erscheint; mit der bizarren Eigenart allerdings, deren Abszesse und Tumore in aller Öffentlichkeit detailliert zu sezieren. Geschmackloser Weise mit des Bürgers Lieblingsutensil, dem Tranchiermesser.

Wegen des 1973 entstandenen Streifens Blutige Hochzeit, in dem ein korrupter (gaullistischer) Bürgermeister den bösen Buben spielt und der weitgehend dem jüngsten Zeitgeschehen entnommen war, bekam er Ärger mit der Zensur.

Die Eingriffe des Meisters schmerzen, man nennt ihn nun schon einen Zyniker und Menschenverachter. Er habe seinen eigenen Figuren gegenüber Aversionen, könne sich nicht zwischen ihnen entscheiden. In der Tat: in seinen Filmen funktioniert es nicht wie sonst üblich. Man greift sich den positiven Helden und kann dann beruhigt durch die Geschichte schippern. Aber Chabrol hat irgendwie keinen. Angeschmiert! Schlimmer noch, oftmals besitzt auch das abartigste Schwein noch überraschend sympathische Momente, und die „Guten“ verfügen leider über erstaunliche menschliche Schwächen. Das irritiert natürlich. Man ist beunruhigt, verunsichert. Es gibt keine klaren Fronten.

Am deutlichsten wird das in „Der Schlachter“. Die Kleinstadt-Idylle ist so perfekt inszeniert, daß der Zuschauer quasi auf Anhieb vom Gegenteil überzeugt ist: da stimmt doch was nicht! Man hat ja schließlich eigene Erfahrungen, nicht wahr? Aber dann erlebt man einen der liebenswertesten und nettesten Psychopathen der Filmgeschichte: Popaul (Paulchen), ein Metzger. Ein Typ, mit dem man Pferde stehlen könnte und den man am Ende des Films bemitleiden muß, obwohl er seinen Beruf bevorzugt an jüngeren Frauen ausübte.

Weiter im OP geht's dann am folgenden Samstag mit Das Biest muß sterben (16.6., 23.20 Uhr, Pro 7). Ein Jugendbuchautor (!) sucht und findet den Mörder seines Sohnes, der von diesem mit dem Auto umgefahren wurde. Er will ihn töten. Und tatsächlich, der Mann stirbt; aber nicht durch ihn...

Philippe Andre

Außerdem zeigt Pro7: Die Straße von Korinth (20.6., 22.50 Uhr), Der Tiger parfümiert sich mit Dynamit, (23.6., 23.15 Uhr) und Der Tiger liebt nur frisches Fleisch, (30.6., 23.00 Uhr). Das ZDF zeigt am 22.6. Der Schrei der Eule.

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