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Unglaublich, aber wahr

Das Bürgerforum ist der klare Sieger bei den Wahlen in der CSFR  ■ K O M M E N T A R E

Die Wahlen in der CSFR sind zu einem Vertrauensvotum für das Bürgerforum und seinen slowakischen Allierten, das Komitee „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ geworden, das in dieser Höhe und Eindeutigkeit von niemandem prognostiziert worden ist. Anders als in Polen, wo das Bürgerkomitee eine späte Schöpfung der Gewerkschaft Solidarnosc war, anders auch als in Ungarn oder der DDR, wo ein rasch wiederbelebtes Parteiensystem den Sieg davontrug, hat sich damit in der CSFR eine Organisationsform durchgehalten, die in der Revolution selbst geboren wurde. Diese Tatsache ist um so beeindruckender, als mit den Christdemokraten und den Sozialdemokraten zwei politische Strömungen das Forum verlassen hatten, die potentiell in der Lage gewesen wären, eine Mehrheit auf sich zu vereinen.

Eine Erklärung für den Triumph des Bürgerforums liegt sicher darin, daß es den Wahlkampf als „Regierungspartei“ führte, aber schließlich hatten auch Vertreter christlicher Parteien Ministerämter. Für die Wähler gab, denke ich, das Bedürfnis den Ausschlag, einen politischen Neuanfang zu machen - und dies mit Kandidaten, deren moralische Integrität sich in den letzten Jahren erwiesen hatte. Die nahezu religiöse Verehrung, die Vaclav Havel entgegengebracht wird, speist sich aus denselben Quellen. Gewissensethik statt Verantwortungsethik. Daher der überragende Einfluß von Persönlichkeiten im Wahlkampf.

Die Wähler hat es keineswegs gestört, daß zu zentralen Fragen vor allem der ökonomischen Reform von führenden Mitgliedern des Forums unterschiedliche Ansichten vorgetragen wurden. Vielleicht drückte sich in dieser Haltung die Erkenntnis aus, daß es für die „Reise in die Marktwirtschaft“ keine kalkulierbare Strategie gibt. Das Forum hat allerdings jetzt die Verantwortung, konkrete Lösungswege auszuarbeiten und sie samt ihren Vor- und Nachteilen für die Bevölkerung nachvollziehbar zu machen. Nur so kann es seinen Anspruch einlösen, ein Ort vielfältiger und offen entwickelter Diskurse zu sein.

Das Votum des letzten Wochenendes zeigt aber nicht nur das Verlangen des Wahlvolks nach Moralität, sondern auch handfesten und nüchternen Pragmatismus. Trotz beachtlicher Stimmenanteile blieb der Erfolg nationalistischer Sektiererei in der Slowakei und regionalistischer Extravaganzen in Mähren beschränkt.

Daß die Sozialdemokraten wie die Grünen abgeschlagen wurden, darf keinen Augenblick zu der Auffassung verleiten, damit sei die soziale und ökologische Thematik gering bewertet worden.

Auch zeigte es sich, daß die Kommunisten einen Teil der traditionellen Linken repräsentieren - und nicht nur die Trümmer des realsozialistischen Herrschaftssystems. Auf den tschechischen wie den slowakischen Listen der Bürgerkomitees standen an führender Stelle Reformkommunisten und demokratische Sozialisten. Eine aufgeklärte linke Politik ist - unglaublich, aber wahr - in der CSFR mehrheitsfähig.

Christian Semler

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