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„Ein richtiger Schiffer ist sowieso ein Grüner“

■ Der VEB Binnenschiffahrt verfügt über 1.300 Schiffe und blickt trotz anstehender Entlassungen optimistisch in die Zukunft

Ost-Berlin. Der DDR blieb nach dem Zweiten Weltkrieg lediglich ein Wasserstraßentorso. Die Ost-West-Verbindungen waren gekappt, es gab keine Anbindung mehr an einen eigenen Seehafen: Stettin wurde zu Sczeczin, und Rostock war nur auf dem Seeweg zu erreichen. Ost-Berlin selbst blieb nur der Osthafen, ein Teil des Humboldthafens und ein Drittel der städtischen Wasserstraßen. Im ohnehin vernachlässigten Verkehrswesen der DDR rangierte die Binnenschiffahrt noch einmal ganz unten - nur etwa zwei Prozent des Güterverkehrs wurden über die Wasserwege abgewickelt. Die Binnenschiffahrt war hochsubventioniert und verbuchte offiziell zwar „Erfolge“, tat dies aber nur, weil sie von ökonomischen Zwängen befreit war. Zuwachs ja - aber Gewinn...?

Heute nennt der VEB Binnenschiffahrt mit Sitz in Ost-Berlin 1.300 Schiffe mit einer Kapazität von 600.000 Tonnen Tragfähigkeit sein eigen. Zwischen Stralsund, Rostock und Eisenhüttenstadt schippern sie Kohle, Erz, Sand und - noch Fertigbau-Betonplatten. Zum größten Teil wurde die DDR -Flotte auf „Schubverbände“ umgestellt, bestehend aus Schubschiff und mehreren variablen und tief im Wasser liegenden Frachtcontainern, im Fachjargon „Leichter“ genannt. Bug und Heck sind bei diesen häßlichen Großraumtransportern kaum auszumachen, dafür sind die auch im Westen gängigen Schubverbände aber extrem leistungsfähig.

Unter quantitativen Gesichtspunkten schnitte die DDR-Flotte nicht schlecht ab, der technische Standard der meisten Schiffe sei aber eher „bescheiden“. Das sagt Friedhelm Rückert, ein nachdenklicher Mann und (Noch)-Pressesprecher des VEB Binnenschiffahrt. Sein Posten soll den anstehenden Rationalisierungsmaßnahmen ebenso zum Opfer fallen wie etliche andere der 600 Stellen im aufgeblähten Verwaltungsapparat des VEB. Entsprechend sei die Stimmung im Kombinat: Als „bange Erwartungshaltung“ charakterisiert sie Rückert.

Aber es tut sich auch einiges im Betrieb: Anfang Juli wird der VEB in eine GmbH umgewandelt, die „Deutsche Binnenreederei GmbH“. Gleichzeitig wird, als Joint-venture mit einer westdeutschen Befrachtungsfirma, die „REMA -Elbschifffahrts-GmbH“ mit Sitz in Hamburg gegründet. Und zum westdeutschen Binnenschifferverband wird es bald das Pendant-Ost geben.

Trotz der anstehenden Entlassungen und der modernisierungsbedürftigen Flotte ist Rückert einigermaßen optimistisch, was die Zukunft der DDR-Binnenschiffahrt angeht. Verglichen mit der desolaten DDR-Wirtschaft schnitte sie gut ab, und die meisten der mehr als 1.000 Schiffer seien „hervorragend ausgebildete Fachleute“. Trotz der Anhebung der Frachtkosten nach dem Wegfall der Subventionen hoffe man, den bisherigen Kundenstamm weiter halten zu können - und das trotz bald neu hinzukommender Konkurrenz aus dem Westen.

Ein Bonus, den man nicht zu gering schätzen dürfe, sei die hohe Umweltfreundlichkeit der Schiffe im Vergleich zur zukünftigen Konkurrenz LKW und auch Bahn. Friedhelm Rückert: „Ein richtiger Binnenschiffer ist sowieso ein Grüner - so oft, wie die draußen sind und sehen, was alles in der Natur kaputtgemacht worden ist...“ An ökologischen Fragen werde sich in Zukunft auch in der DDR niemand mehr vorbeimogeln können.

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