Lieber ein Hase mit Herz als ein Igel ohne Stacheln

■ Die eigentliche Niederlage des rot-grünen Senats liegt in den verpaßten Chancen bei der Frauenpolitik

Frauenpolitik war die eigentliche Jahrhundertchance des rot -grünen Senats. Sie verpaßt zu haben in den Jahren 1989 und 1990, als eine neuartige Revolution im Osten uns überraschte und alle sozialen und politischen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern bis zur neuartigen, sozial politisierten National(itäten)frage umdefiniert wurden, das halte ich für die eigentliche Niederlage dieses, einmalig in der Geschichte des Parlamentarismus, überquotierten Berliner Senats. Das ist natürlich nicht nur eine Frage an die acht Senatorinnen, von denen die meisten frauenpolitisch lange engagiert und feministisch tituliert waren. Aber daß sie keine Gedanken daran verschwenden! Daß sie in der aktuellen Debatte um die Fortsetzung der Koalition nur mit künftigen Chancen winken, Alltagspolitik reklamieren, ihre Erfolgslisten vortragen, das Weiterregieren und -verwalten verteidigen, das kopiert aus der Defensive Herrschaftsstil fürs blöde Volk: Immer vorwärts! Gerne hätte ich provoziert: Gut, das war der Anfang, jetzt wird getauscht, Frauen auf die Männerposten, welche doch offensichtlich die alle Entscheidungen dominierenden Posten sind. Aber wer würde denn wollen (und können)? Niemand inszenierte einen öffentlichen Streit mit mächtigen Männern um die Verteilung des Ressourcen und die Pointierung der Senatspolitik. Beispielhaft allein Schreyer gegen Nagel.

Einsam Hilde Schramms Deritualisierung eines Berliner Politkuriosums - das hätte ein Anfang sein können, Politikrituale, Unmöglichkeiten der Umsetzung von Koalitionsvereinbarungen, Umgangsformen im Senat alternativ und feministisch zu veröffentlichen, aus den Positionen des Klagens an den Grenzen und Rechtfertigens von zu kleinen Erfolgen etwas herauszukommen. Frauenpolitik des rot-grünen Senats ist auch und oft entscheidend eine Personenfrage. Selbstkritisch müssen sich Feministinnen fragen, ob es richtig war/ist, autonome Frauen ohne Verwaltungserfahrungen zu nominieren, ob persönlicher Verschleiß und politische Enttäuschung nicht in der Euphorie von „Einmischung“ unbedacht und unterschätzt wurden. Wie Anne Klein sich jetzt in die taz-Debatte eingebracht hat, macht sie das Diskutieren schwer. Sie spricht, wie die meisten anderen, nicht von ihrer Arbeit, nicht von Machterfahrungen, Politikproblemen und -aufgaben; sie entfernt ihre Widersprüche wie Krümel vom Jackett und behauptet ein Konzept utopischer Politik-Konturierung, an der's grad‘ fehlt.

Finster wars, der Mond schien helle...

Daß im ErzieherInnenstreik die rot-grüne Koalition und die Frauensenatorin versagt haben, weil sie frauenpolitisch nichts zu sagen hatten, während die vaterländischen Reden dreist aufs Volk sich beriefen, das legt doch nahe, Feministinnen könnten ohne Regierungsmacht-Appeal erfreulicher die Gangart neuer deutscher Geschichte beeinflussen. Wenn das von einem Senatsposten aus nicht mehr gedacht werden kann, wird die Tolerierung dieses Senats für manche Feministinnen zur blöden Rechnerei. „Wir“ sind da ohnehin schon blockiert: Unterstützung ist nur als Zuarbeit willkommen. Solidaritätsverpflichtung entbindet teilweise kurios von Kritik. Fehlbesetzung wird zur Unaussprechlichkeit. Eine erste lesbische feministische Senatorin - das macht froh, vernagelt und vermompert unser Denken.

...als ein Wagen blitzesschnelle, langsam um die Ecke bog... (das Lied geht mir nicht aus dem Sinn)

Wir müßten die Kraft aufbringen, die Bilanz subversiv zu machen: Persönliche Skandale - wohin führten sie? ErzieherInnenstreik - eine westdeutsche Feministin sagte mir: Die Senatorin erschien als Büttel der Gewerkschaften. Das Antidiskriminierungsgesetz - ginge das mit einem anderen Senat nicht? Schneller? Verbesserungen für Frauenprojekte gab es keine Verschlechterungen? Der Aufbau neuer Verwaltungsressorts - wie geht denn das?

...drinnen saßen stehend Leute, schweigend ins Gespräch vertieft...

Und dann „trotzdem“ sagen können: Vielleicht gäbe es sonst kein Antidiskriminierungsgesetz! Vielleicht wären gerade uns bedeutsame Frauenprojekte sonst nicht gefördert worden sexuelle Gewalt wäre sonst nicht so ein Thema geworden. Wir brauchen Senatorinnen, die mitdiskutieren und ihre Regierungserfahrungen veröffentlichen und ihre Machtambivalenzen preisgeben. Wir brauchen Senatorinnen, die abtreten können.

Denkbar muß bleiben, daß in der Regierung und bei der Verdeutschung (und Ent-deutschung!) zuviel mitverantwortet wird um einer noch so langen Liste kleiner Erfolge willen. Das Barometer der eigenen Bedeutung darf weder Alternative noch Feministinnen hindern, Stilarten von Befragung und Rechenschaftslegung zu entwickeln, die Bruchstellen zu benennen. War der Bruch der Hessen-Koalition nicht ökologisch sinnvoll? An welchen Punkten geht Senatorinnen ihre (und unsere) Beteiligung an patriarchalischer Politikmacht zu weit?

...als ein totgeschoss'ner Hase auf der Sandbank Schlittschuh lief.

Hannelore May, Mitglied der Berliner FrauenfrAktion