: Welche Message?
■ betr.: "Ein einig Volk von RAF-Fahndern", taz vom 14.6.90
betr.: „Ein einig Volk von RAF-Fahndern“, taz vom 14.6.90
Die taz macht heute unter der Schlagzeile „Ein einig Volk von RAF-Fahndern“ auf. Ist das die Message der „Vorgänge“?
Tauschen wir die Namen und Orte aus. Was würde die Redaktion titeln, wenn ein gesuchter Rechtsextremist erfolgreich in einem amerikanischen Land resozialisiert worden wäre? Die reflexhafte Reaktion ist leicht ausrechenbar: es würde eine rechtstaatliche Abwicklung gefordert werden. Dem sachlichen Gehalt würde zudem viel Moral-Rhetorik mit auf den Weg gegeben. Warum ist das bei der Verhaftung und beantragten „Überstellung“ zweier langgesuchter Terroristinnen, gegen die es konkrete Tatvorwürfe gibt und die nicht mit einem Allzweckparagraphen gehetzt werden, so ganz anders?
Im Kern scheint es die Verdrängung der eigenen Geschichte qua Verharmlosung zu sein. Die einen stritten und die anderen kämpften für eine gute Sache. Und das wörtlich und eben deshalb mit falschen Mitteln. Die Szene hat sich längst differenziert und die „klammheimliche Freude“ und das miterlebte Fluchtabenteuer in den 'Spiegel'-Stories der Siebziger ist halbvergessene Biographie. Nur noch die Machos, Romantiker und Heroen der Selbstzerstörung in der Kiezjugend pflegen ihre Sympathien. Aber was haben die anderen aus ihrer unbeteiligten Verstrickung gemacht?
Es war ein ernstes Spiel, ein Endspiel, und nicht simuliert, zumindest nicht für die Opfer und die vielleicht später wieder zu Bewußtsein gekommenen Täter. Der rührige Cohn-Bendit versucht mit Familienrat-Argumenten die schwarzen Schafe einzusammeln und die ganze Geschichte gütig beizulegen, und zwar im Interesse der Kontinuität des Guten an der guten Sache, für die alle waren. Was da unter den Teppich gekehrt werden soll, sind Leichen. Nichts anderes. Entsprechend verkniffen-schwarz ist der Humor, der die Lebensbedingungen DDR-Trabantenstadt gegen Stuttgart -Hochsicherheitstrakt aufrechnet. Was soll das? Leichen mögen milieufremd sein und auch nicht zur guten Sache gehören, aber sie sind nicht entsorgbar. Frau Albrecht und Frau Viet werden sich für ihr vergangenes Tun verantworten müssen.
Und auch die Linke wird die Resultate des Terrorismus nicht so einfach abbürsten können, indem die jetzt aufgedeckte thrillerhafte Verquickung von Stasi, Naher Osten und westdeutschem Terrorismus unter der Perspektive wachsender Polizeistaat und Spitzelbevölkerung auf Linie gelesen wird. (...)
Hartmut Böhm, Berlin
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