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Killer auf dem Fensterbrett

Pflanzliche Abwehr und ihre Folgen  ■  B U N S E N B R E N N E R

Ihre natürliche Umgebung ist das Fensterbrett oder die Blumenbank. Dort steht sie scheinbar harmlos. Nähert sich aber jemand, um sie zu liebkosen oder ihr Wasser zu reichen, schleudert sie unvermittelt mikroskopisch kleine Giftpfeile ab. Die Folgen: monströse Schwellung der Lippen, Zunge, Mundschleimhaut und Halsweichteile. Aber auch Geschwüre, die trotz ärztlicher Behandlung erst nach drei Tagen zurückgehen können. Das mörderische Instrumentarium der Dieffenbachia - alias Giftaron - ist vielfältig. Die Ausführung der Tat ist bis ins Detail geplant. Freunde des perfekten Verbrechens versteigen sich gar zu der Bezeichnung „kreative Strategie“.

In all ihren Organen beherbergt sie Schießzellen, die Bündel von feinsten Pfeilen enthalten. Schon leichter Druck von außen genügt, um sie explosionsartig herausschnellen zu lassen. Dabei dringen die Pfeile in die Haut und entfalten ihr zerstörerisches Werk. Das Gift wird in alle Richtungen verspritzt. Zum B-Waffenarsenal der hinterfotzigen Pflanze gehören „hochkonzentrierte Oxalsäuren“ und andere toxische Inhaltsstoffe - wie die Pathologen bei der Obduktion einer hingerichteten Dieffenbachia lapidar feststellten. Die Ärztin Brigitte Resch entlarvte den grünen Täter - und zwar in der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin im Salvador -Allende-Krankenhaus in Ost-Berlin. Ihrer Detektivarbeit ist es nicht nur zu verdanken, daß die ahnungslose Menschheit endlich gewarnt werden kann. Sie lieferte auch zugleich eine fast lückenlose Liste von Straftaten, die der Dieffenbachia -Clan begangen hat. Mit seiner Hilfe wurden eine Menge gefährlicher Zungen zum Schweigen gebracht. In Europa waren und sind die Opfer vornehmlich Kinder. Der Tatnachweis ist vor allem deshalb so schwierig, weil eine starke Dosis der Gifte den Opfern gleich für mehrere Tage im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache raubt. Das Opfer kann den Täter nicht benennen. Es ist also als direkte Folge des Anschlages vernehmungsunfähig.

Krimineller Übermut ist die Arroganz des unentdeckten Verbrechers und Beihilfe zum versuchten Suizid ist ihre Ausdrucksform in der Gewaltkriminalität. Ein 47jähriger Mann, so berichtet die 'Medical Tribune‘, wußte genau was er tat, als er in den Stengel der Dieffenbachia biß. Anderthalb Stunden später landete er in der Intensivstation des Allende -Krankenhauses, in dem Reschke die Spuren sammelte. Weil der Patient so genau wußte, was er zu sich genommen hatte, wurde der Täter - oder in diesem Fall die Täterin - sofort identifiziert. Aber die Gefahr ist noch nicht gebannt. Zu Tausenden, wenn nicht Hunderttausenden lauern Mitglieder der Familie Dieffenbachia noch in gesamteuropäischen Blumenkästen, schlummern heimtückisch in den Schaufenstern der Floristen und werden von den eigentlichen Hintermännern, skrupellosen Zierpflanzenzüchtern, zu ungehemmter Vermehrung angeregt.

Merke: Der Mörder ist immer der Gärtner.

Ralf Schaepe

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