: „Die Landkommune muß im Herzen wachsen“
Am vergangenen Wochenende fand in Kleinmachnow das erste Ost-West-Treffen über Landkommunen, Ökodörfer und spirituelle Lebensgemeinschaften statt / Zwei Drittel der 400 Teilnehmer aus der DDR / Rudolf Bahro fand großen Zuspruch ■ Von Plutonia Plarre
Kleinmachnow (taz) - Den Angestellten der ehemaligen SED -Parteischule stand das blanke Entsetzen in den Augen, als in der vergangenen Woche ein Trupp langmähniger Gestalten auf dem Waldgrundstück in Kleinmachnow bei Berlin anrückte, um ein ausrangiertes Zirkuszelt aufzubauen: „Jetzt kommen die Chaoten.“ Der Trupp war der Vorbote einer dreitägigen Begegnungsveranstaltung von 400 Menschen aus Ost und West, die sich in der zu einem Touristen- und Bildungszentrum umfunktionierten Kader-Schule zu einem Austausch über Landkommunen, Ökodörfer und spirituelle Gemeinschaften eingemietet hatten. Der Kontrast hätte wohl kaum größer sein können: In den Seminarräumen, in denen einst graue SED -Bezirkssekretäre bei sogenannten Erneuerungs-Konferenzen auf Linie gebracht wurden, faßten sich jetzt farbenfroh gekleidete Männlein und Weiblein im Kreis an den Händen, um mit geschlossenen Augen gemeinsam „Kraft und Energie“ zu tanken. Auf der etwas abseits gelegenen großen Waldwiese, wo auserwählte, junge Pioniere einstmals verstohlen Fußball spielten, reihte sich jetzt Zelt an Zelt, in denen die alternativen Seminaristen ihr müdes Haupt zur Ruhe legten. Der Swimmingpool, in dem die SED-Bonzen in hochgeschlossener Badehose ihre Runden drehten, wurde kurzerhand zum FKK-Pool umfunktioniert. In der Gartenanlage, in der keine geringeren als Mielke, Tisch und Mittag ihren Verdauungsspaziergang absolvierten, hockte jetzt ein buntes Völkchen auf dem Rasen und lauschte andächtig den Ausführungen des einstmals in Ungnade gefallenen SED-Regimekritikers Rudolf Bahro über die „tödliche Industriegesellschaft“ und die „Megamaschine“, die nur durch eine Verbindung von Spiritualität und Politik aufgehalten werden könne. Bahro referierte in der ehemaligen SED-Parteischule und vormaligem Reichspostministerium just zu der Stunde, als er vom Obersten Gericht in Ost-Berlin rehabilitiert wurde.
Von den rund 400 Menschen, die am vergangenen Wochenende in Kleinmachnow anrückten - viele davon mit Kindern -, kamen gut zwei Drittel aus der DDR. Alle waren von großer Neugier nach alternativen Lebensformen getrieben worden, viele befanden sich bereits auf der Suche nach potentiellen Mitkommunarden und/oder einem Objekt in der DDR, um dort so bald wie möglich selbst ein Projekt realisieren zu können. Eine bereits bestehende Gruppe von Westlern und Ostlern, die im Umland von Berlin ein Ökodorf aufbauen möchte, bekam bei dem Treffen so regen Zulauf, daß im August für alle, die ernsthaft an einer Projektgründung interessiert sind, ein Zeltlager zum Kennenlernen veranstaltet werden soll. Unter gleichem Vorzeichen gründete sich eine Gruppe für Sachsen und eine, die sich in Mecklenburg niederlassen will.
Den größten Zulauf hatte Rudolf Bahro. Ein 27jähriger Buchbinder aus Ost-Berlin erklärte Bahros große Beliebtheit damit, daß Bahro „am realistischsten“ auf die Verhältnisse in der DDR eingegangen sei, weil er es trotz der vielen Jahre in der BRD geschafft habe, „innerlich“ DDR-Bürger zu bleiben. Eine 33jährige Kindergärtnerin aus Magdeburg zollte Bahro großen Respekt für „die Tiefe und Weite seines Blickfeldes“: „Mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen, als er sagte, die kommende Arbeitslosigkeit in der DDR ist auch eine Gunst der Stunde, um sich freizumachen für den subsistenzwirtschaftlichen Weg. Die großen Brachflächen sind doch da, die will keiner mehr haben. Wir müssen sie uns nur nehmen.“ Auch der West-Berliner Politologie-Professor und Kibbuz-Experte, Fritz Vilmar, der sich seit zehn Jahren mit selbstverwalteten Projekten befaßt und in Klein-Machnow über „Der Staatssozialismus ist tot - es gibt Alternativen“ referierte, konnte sich nicht über mangelnde Resonanz beschweren. Eine 52jährige Ärztin aus Dresden, die bereit wäre, „bald irgendwo in ein ökologisches Projekt miteinzusteigen“ - „ich habe nicht viele wichtige Brücken abzubrechen, nur eine sehr schöne Wohnung“ - hatte an Vilmar besonders begeistert, daß der „so mit beiden Beinen auf der Erde steht“. Vilmar hatte in seinem Vortrag aufgelistet, daß es in der BRD 45.000 selbstorganisierte Projekte gibt, 550.000 Menschen in alternativen Formen leben und „nicht darauf warten, daß der Staat ihre Probleme löst“. Gleichzeitig warnte er jedoch vor einem Rückzug in die „kommunitäre Nische“ und vor Autarkheitsbestrebungen: Eine „Wirtschaftsdemokratie“, Gleichheit und Freiheit für alle unter ökologischen Gesichtspunkten könne nur erreicht werden, wenn man im Austausch mit der Gesellschaft bleibe. Damit, daß Vilmar als Beispiel für „kommunitäre Lebensformen“ immer wieder den Kibbuz postulierte, hatte eine 23jährige Kulturwissenschafts-Studentin aus Ost-Berlin allerdings so ihre Probleme. Die Studentin hatte nämlich gehört, daß die Kibuzzim „total auf Kosten der Araber leben“, in dem Seminar aber keine Möglichkeit gesehen, das zu hinterfragen. Die Kommunikation zwischen Ostlern und Westlern war auch in anderen Seminaren ein Problem. Man sprach die gleiche Sprache, benutzte die gleichen Worte, meinte aber völlig unterschiedliche Dinge. Selbst der APO -Opa und Exkommunarde der Kommune 1, Rainer Langhans (50), der sich in seinem Seminar „Die Kommune ist die Geschichte der Neubestimmung des Geschlechtsvertrages durch Kampf“ zwei Tage lang vor einer geduldigen Zuhörerschaft selbstbeweihräucherte - die Krönung war ein Film über seine Beziehung zu Uschi Obermeier: „Uschi wollte einfach alles, und das schien ich zu sein“ -, empfand die Kommunikation als Problem: „Wir reden aneinander vorbei, aber es ist sehr interessant.“ Als Lösung schlug Langhans in einer mitternächtlichen Diskussionsrunde im kleinen Kreis vor, daß die DDRler erst mal therapiert werden müßten und sich die Westler unterdessen weiterreichenden Dingen zuwenden sollten. Ein DDR-Teilnehmer sagte ihm daraufhin allerdings ganz gehörig die Meinung.
Die Ost-West-Begegnung war von einer Gruppe Westler und Ostler organisiert worden. Die Kerngruppe fand sich über den „Informationsdienst Ökodorf“ zusammen, der seine Aufgabe bislang darin sah, ökologische Gemeinschaftsprojekte „in der BRD und anderswo“ zu informieren. Zunächst hatten die Organisatoren eigentlich nur vor, einen „Dachverband Ökodorf DDR zu gründen“. „Dann lag plötzlich die Idee für das Treffen in der Luft“, erklärte Dieter Halbach (Landkommunarde in der Toskana), der zusammen mit Isolde Breuner (Grüne), Elisabeth Voß (Infodienst Ökodorf) und Rita Eberle (Dresden) Hauptorganisator war. Eingeladen wurden bestehende Projekte in der BRD, wie die Landkommune Niederkaufungen, die Siedlungsgemeinschaft „Lebensgarten Steyerberg“, die Basisgemeinde Wulshagener Hütten, die Sozialistische Selbsthilfe Köln und die Großkommune Ufa -Fabrik in West-Berlin.
Großen Interesses erfreuten sich die Seminare, in denen ganz konkrete Projekte vorgestellt wurden. So zum Bespiel die Landkommune Niederkaufungen bei Kassel, in der 38 Erwachsene und 13 Kinder in sieben Wohngruppen zusammenwohnen. In der Kommune, die nach ökologischen Kriterien lebt und die sich unter anderem durch eine Tischlerei und Schlosserei und ein Tagungshaus unterhält, wird gemeinsame Kasse gemacht. Wer in die Kommune einzieht, muß dieser sein gesamtes Vermögen übertragen. Fünf Jahre nach dem Auszug bekommt man den ersten Teil des Geldes unverzinst zurück, den zweiten Teil erst nach 25 Jahren. Eine Besonderheit war auch die Vorstellung der Landkommune Marienhöhe, 50 Kilometer südöstlich von Berlin. Die Kommune, in der zur Zeit rund 30 Erwachsene und mehrere Kinder nach anthroposophischen Grundsätzen leben, gibt es schon seit 1929. Sie überdauerte das Dritte Reich, indem sie trotz des Verbotes einfach weiterexistierte. Die zweite große Krise kam in den 50ern, mit der Bodenenteignung wurde aber durch die Courage der Frau des Kommunegründers Bartsch abgewendet. Den real existierenden Sozialismus überstand die Marienhöhe -Kommune nur deshalb, weil sie in der DDR nahezu unbekannt war. Und das, obwohl dort einmal im Jahr für einen auserwählten Kreis eine Bauerntagung mit praktischen und theoretischen Themen stattfand. Auch eine Indiananer -Kommune, die sich nach der Wende in Mecklenburg gegründet hat, war in Kleinmachnow vertreten. Nach Angaben von Indianer George leben dort bereits sechs Erwachsene und drei Kinder in Tipis „im Einklang und Respekt mit der Natur“ und wollen Schaf- und Pferdezucht - robuste indianische Ponys betreiben. Sechs Pferde, darunter ein Halbblut-Araberhengst, habe man schon.
Daß die Ost-West-Begegnung ein voller Erfolg war, wurde am Sonntag bei der Abschlußveranstaltung klar. Harald aus Dresden kämpfte mit den Tränen, als einer von vielen durchs Mikrofon sagte: „Ich habe mich im Prinzip noch nie so glücklich gefühlt wie in diesem Rahmen. Ich bin viel lockerer geworden. Beim Reigentanz am Anfang, da habe ich mich richtig überwinden müssen.“ Auch für Inge aus Ost -Berlin war es „ein großer Gewinn“, in Kleinmachnow gewesen zu sein: „Die Veranstaltung hat einen großen Anteil daran, daß ich eine ziemliche Krise überwunden habe.“ Matthias aus Kassel erklärte, daß er durch „viele kleine Dinge bereichert worden“ sei und dabei gemerkt habe, daß „Kommune im Herzen wachsen muß“. Angelika aus West-Berlin, die in der DDR ein Gelände für eine experimentelle Siedlung sucht, fand das Treffen „sehr interessant“, weil es den „Charakter eines Marktes“ hatte. Ein Sozialpädagogik-Student aus Braunschweig, der „eine Menge Anregungen“ bekommen hatte, bedauerte, daß er sich trotzdem „als Fremdkörper“ empfand: „Ich habe erlebt, wie schwer Gemeinschaftsfähigkeit ist und wie sehr ich meiner individuellen Traurigkeit verhaftet bin.“ Richtige Kritik klang in der Runde eigentlich nur einmal an, als ein Teilnehmer erklärte, daß er „die Harmonie, die hier geherrscht hat, unangenehm“ fand. Selbst die Angestellten der ehemaligen Parteischule waren des Lobes voll, nachdem sie den Kulturschock halbwegs überwunden hatten. Sie rechneten den Teilnehmern hoch an, daß sie „so sauber“ waren und nicht auf Schritt und Tritt leere Flaschen und Bonbonpapier fallen ließen. Sogar die Köchinnen in der Kantine hatten sich zum Schluß daran gewöhnt, daß dort jeden Abend eine Vollwertköchin erschien, um den Weizen für das allmorgendliche Müsli einzuweichen. Anfangs hätten sie sich noch mit Hohngelächter danach erkundigt, wann das „Hühnerfutter“ denn fertig sei.
Wer Kontakt aufnehmen will, kann dies über den „Dachverband Ökodorf DDR“, Wilhelm-Pieck-Straße 72, Berlin 1054 oder Elisabeth Voß, Friedbergstraße 1, in 1 Berlin 19 tun.
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