„Stasi-Listen? Her damit!“

■ Dichtes Gedränge in den Fluren der DDR-taz / Hitzige Debatten über das Für und Wider

Berlin (taz) - Ab neun Uhr standen die Menschen in den Räumen der DDR-taz Schlange. Hunderte wollten den Sonderdruck mit der Liste der 9.251 Adressen ehemaliger Stasi-Adressen erwerben. Zum Teil sehr heftige Diskussionen entzündeten sich an der Frage, ob es richtig sei, die Anschriften auch der ehemals konspirativen Wohnungen zu publizieren. Wie berichtet, hatte es auch in der Redaktion eine lange Debatte gegeben. Am Montag abend sprach sich eine Mehrheit der taz-MitarbeiterInnen - gegen den Willen der DDR -tazlerInnen - dafür aus, dieses „Dokument der Zeitgeschichte“ ab heute in der DDR- sowie der Gesamtberliner Ausgabe etappenweise zu veröffentlichen.

Furcht vor eventuellen Folgen äußerten viele Käufer. Ein Ex -Stasi aus der Abteilung Spionageabwehr: „Es könnte doch die Unschuldigen treffen. Wir hatten 10.000 Sekretärinnen und andere Hilfskräfte, die kann man doch nicht verantwortlich machen.“ Er selbst habe sich „nichts vorzuwerfen, Spionageabwehr muß sein“. Ein Blick in die Liste, und der Mann lächelte: „Zum Glück stehen nicht alle Wohnungen drin.“ Empörung auch bei einem Mitarbeiter des „Objektschutzes beim Ministerium des Innern“: „Unverschämt, die taz eröffnet die Hetzjagd.“ Andere widersprachen, sahen in der Veröffentlichung „eine Möglichkeit, die Vergangenheit besser aufzuarbeiten“. Gegen die von vielen Menschen geäußerte Befürchtung, es könne nun zu „Übergriffen“ kommen, wandte jemand ein: „Die Möglichkeit, daß geschlagen, getreten und gepöbelt wird, besteht in diesen Tagen immer. Wer das will, wartet nicht auf die Liste.“ So etwas konnte indes nicht jeden beruhigen. Eine Frau, die seit kurzem in einer Ex -Stasi-Wohnung lebt, fühlte sich „massiv bedroht“. Zu einem Gespräch war sie nicht bereit. Bei einer anderen, die ihre Wut im Haus der West-taz vorbrachte, stellte sich heraus, daß ihr Mann als Techniker für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet hatte. Darf man darüber nicht reden? Die Diskussionen auf dem Flur in der Berliner Oberwasserstraße zeigten, wie man mit dieser Liste umgehen sollte: sie als Material für die konkrete Debatte um die Vergangenheit der DDR benutzen.

peb