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Aids-Aktionsgruppen belagern das Marriot-Hotel

Unter dem Boykott der Selbsthilfegruppen begann in San Francisco die sechste Welt-Aids-Konferenz mit Protestzügen und Kritik von allen Seiten / Nur wenig Solidarität aus den Reihen der Wissenschaftler / 10.000 Forscher präsentieren den wissenschaftlichen Stand der Dinge  ■  Aus San Francisco A. Salmen

Einen Tag vor dem offiziellen Beginn der 6. Internationalen World-Aids-Konferenz in San Francisco demonstrierten am Dienstag rund 1.000 Mitglieder der Aids-Aktionsgruppen Act -up gegen die amerikanischen Einreiseverbote und -beschränkungen für Menschen mit HIV-Infektion. Seit 1987 verbietet die US-Gesetzgebung die Einreise von HIV-Positiven oder Aids-Kranken, unabhängig davon, ob sie sich befristet in den USA aufhalten oder dauerhaft einreisen möchten.

Von San Franciscos Hauptstraße, der Market Street, bewegte sich der Zug zum Gebäude der US-Einwanderungsbehörde, die anschließend blockiert wurde. Dorla Rucker von Act-up sagte: „Wir sollten dieses Gebäude nicht nur heute, sondern für immer schließen, öffnet endlich die Grenzen!“ In Straßentheaterszenen rief „Uncle Sam“ den Demonstranten zu: „Wir wollen Euch nicht“, während Miss Liberty hartnäckig „keine Beschränkungen“ forderte. Zu neun Festnahmen kam es, als eine Gruppe die Polizeisperren durchbrach und anschließend versuchte, in das Gebäude zu gelangen.

Am Abend stürmten die Demonstranten die Lobby des Marriot -Hotels, in dem die Konferenz stattfindet, und erklärten: „Dies ist auch unsere Konferenz.“ Sie blockierten den Haupteingang des Gebäudes für mehrere Stunden, verwehrten den ankommenden Delegierten den Zutritt und forderten den unbegrenzten Zugang für Menschen mit HIV/Aids zur Konferenz. Die Aktionen in San Francisco waren von ähnlichen Demonstrationen in New York und Chicago sowie vor den US -Botschaften in London, Paris, Sydney, Toronto und Montral begleitet. Mit den Aktionen am Dienstag starteten die Act-up -Gruppen ihr einwöchiges Parallelprogramm zur Konferenz. Mehr als 50 nationale und internationale Organisationen, die Regierungen von Frankreich, Italien, Spanien, Kanada und Australien und die Gesundheitsminister der EG haben sich dem Boykott angeschlossen.

Unter dem Dauerton der Proteste begann am Mittwoch abend die Eröffnungszeremonie der offiziellen Konferenz. 9.500 Teilnehmer aus 120 Ländern nehmen an der weltweit größten Aids-Tagung teil. Hinzu kommt ein Troß von 1.400 Journalisten. An den vier Konferenztagen werden 3.000 Päsentationen von Forschungsergebnissen geboten.

Die Konferenzorganisatoren äußerten noch vor der Eröffnung ihre Kritik an den US-Einreisebestimmungen und forderten die US-Regierung zur Rücknahme auf. Der stellvertretende Konferenzvorsitzende Robert Wachter: „In dieser Hinsicht sind wir mit den Boykotteuren einer Meinung.“ Und der Konferenzvorsitzende Paul Volberding drohte, die 1992 in Boston geplante Aids-Konferenz in ein anderes Land zu verlegen, wenn die Einreisebestimmungen nicht geändert würden.

Boykott und Proteste haben allerdings keinen Einbruch der wissenschaftlichen Qualität der Konferenz bewirken können. Von 72 Plenumsrednern haben nur drei abgesagt, von 2.500 Referenten zogen nur 30 aus Protest ihre Vorträge zurück. Die wissenschaftliche Reputation war den meisten Forschern allemal wichtiger als die Solidarität mit ihren Patienten. Als Reaktion auf die Restriktionen haben die Organisatoren versucht, Aids-Kranke verstärkt in die Konferenz einzubeziehen. 375 Menschen mit Aids nehmen an der Tagung teil, ein spezielles Ruhezentrum wurde für die Kranken eigens zur Verfügung gestellt. Paul Volberding, Arzt am San Francisco General Hospital, wies darauf hin, daß die Internationale Aids-Konferenz erstmals in einer Stadt stattfinde, die direkt und besonders hart von der Aids -Epidemie betroffen ist. Das stelle besondere Anforderungen: „Betroffene dieser Epidemie organisieren sich, fordern ihre Beteiligung am Forschungsprozeß, und es wäre falsch, dies zu übergehen.“ Eine lokale Kabelstationen wird einzelne Konferenzveranstaltungen über Fernsehen live übertragen.

Die Weigerung von US-Präsident George Bush, die Veranstaltung zu eröffnen, komplettiert den Ärger um die 6. Aids-Konferenz. In den vergangenen Jahren hatten jeweils die Präsidenten des gastgebenden Landes an den Eröffnungszeremonie teilgenommen. Der Veranstalter, die „Internationale Aids-Gesellschaft“, hat vor einigen Wochen beschlossen, keine Tagungen mehr in Staaten durchzuführen, die solche Einreiseverbote für Kranke und Infizierte haben.

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