Schwache Vorstellung von Schikin

■ Der neue Botschafter der Sowjetunion in der DDR übt sich in Rückzugsgefechten / Wirtschaftsverträge müssen weitergelten

Ost-Berlin (taz) - Der Herr Botschafter lud zum Pressegespräch, hatte aber nichts mitzuteilen. Das ist angesichts der sowjetischen Übung, pro Woche mindestens einen neuen Vorschlag zu den „äußeren Aspekten“ der deutschen Einheit zu lancieren, ziemlich bemerkenswert. Immerhin beschwerte sich Schikin, der bislang sein Land im gemächlichen Wien vertreten hat, darüber, daß auf die Sowjetunion Druck ausgeübt werde. Gemeint war - unschwer zu erraten - der Dezembertermin für die Bundestagswahlen. Schikin weigerte sich, darüber zu spekulieren, wie lange er Unter den Linden residieren werde, sicherte aber zu, daß es im vereinten Deutschland nur eine sowjetische Botschaft geben werde.

Auch Schikin übernahm Genschers Formel, wonach die Nato in eine „vorwiegend politische Organisation“ verwandelt werden solle. Möglichst nach dem Vorbild des jetzigen Warschauer Paktes, fügte er hinzu.

Offensichtlich will sich die Sowjetunion hier mit Absichtserklärungen zufriedengeben. Denn der Botschafter bekräftigte zwar den Vorschlag Gorbatschows, nach dem ein vereintes Deutschland der Nato nur als assoziiertes Mitglied angehören solle, wollte aber auch nicht ausschließen, daß es innerhalb der militärischen Integration der Nato verbleibt. Unklar blieb auch, wie die Abrüstungsverhandlungen in Wien und die Verhandlungen der Supermächte über die Reduzierung bzw. Abschaffung der atomaren Arsenale in Europa mit den Zwei-plus-vier-Verhandlungen in zeitliche Übereinstimmung gebracht werden sollen. Allem Anschein nach wird es darauf hinauslaufen, daß für die Armee des vereinten Deutschlands Höchstgrenzen festgelegt werden. Das war's dann.

Auch Gorbatschows Friedensvertragsinitiative scheint vom Tisch zu sein. Schikin sprach von der Notwendigkeit, „irgendein Dokument“ zu unterzeichnen. In ihm müßten mindestens Bestimmungen enthalten sein, die die Stationierung sowjetischer Truppen auf dem Noch-Territorium der DDR regeln. „Übergangsphase“ war ohnehin der Lieblingsbegriff des Botschafters. Sie soll die Lösung aller offenen Fragen bringen - und die sowjetischen Truppen in Deutschland sollen ein Mahnmahl dieser Fragen sein.

Zur Weitergeltung der Verträge zwischen der DDR und der Sowjetunion äußerte sich der Botschafter klassich -diplomatisch: Pacta sunt servanda. Allerdings gelte es zu überprüfen, was überholt sei, was aktuell. Weitergelten würden auf alle Fälle, daran ließ Schikin keinen Zweifel, die wirtschaftlichen Abkommen. Die Frage eines DDR -Journalisten allerdings, ob westdeutsche Firmen die Stelle von VEBs bei der Lieferung von Rüstungsprodukten einnehmen werden, ließ er taktvollerweise unbeantwortet.

Zurückhaltend äußerte sich der Sowjetdiplomat zur Initiative des DDR-Außenministers, eine Block-zu-Block -Konferenz beider Miliärpakte einzuberufen, um die Fragen des Übergangs zu einem neuen europäischen Sicherheitssystem „komplex“ zu lösen.

„Man soll niemals nein sagen“, wenn es um die Überwindung der Blöcke geht, war sein Kommentar.

Christian Semler