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Aufstand des Apparats

Gorbatschows Rücktrittsdrohung verpufft  ■ K O M M E N T A R

Nichts ist bezeichnender für den schwindenden Einfluß Gorbatschows in seiner eigenen Partei als die Tatsache, daß seine Rücktrittsdrohung als Generalsekretär der KPdSU die Delegierten der Russischen Partei nicht mehr auf Linie zwingen kann. Wenn sowohl Jelzin als Vertreter des linken Flügels wie auch Ligatschow und andere Redner des rechten und konservativen Flügels dem Präsidenten nahelegen, seine Drohung auf dem nächsten Parteitag der Gesamtpartei wahr zu machen, bleibt Gorbatschow tatsächlich wenig anderes übrig, als sich auf die Position des Staatspräsidenten zurückzuziehen. Doch dieser Rückzug würde im Rahmen der jetzigen Machtstruktur in der Sowjetunion die Manövrierfähigkeit und politische Macht Gorbatschows empfindlich beschneiden.

Solange nämlich die Trennung von Staat und Partei, die im Rahmen der Perestroika vollzogen werden sollte, nicht vollständig gelungen ist, haben die Parteiorganisationen auf allen Ebenen der sowjetischen Gesellschaft die Möglichkeit, Reformprojekte zu blockieren.

Wenn auch formell das Machtmonopol der Kommunisten aufgegeben ist, in der politischen Praxis hat sich kaum etwas verändert. Und die Blockadepolitik wird den Konservativen in der Partei, die angesichts des Verlusts des letzten Restes an wirtschaftlicher Stabilität und angesichts des Auseinanderfallens des Sozialistischen Blocks wie auch der Sowjetunion selbst sich wieder zu formieren beginnen, um so leichter fallen, je mehr es ihnen gelingt, in der Partei verlorenes Terrain zurückzuholen.

Sah es anfänglich noch so aus, als hätte die Parteilinke unter Boris Jelzin in der Russischen Partei ein gewichtiges Wort mitzureden - der Verlauf des Parteikongresses verrät das Gegenteil. Die vom „Präsidenten“ Rußlands, Boris Jelzin, vorgeschlagene „Autonomie“ der Russischen Partei und Republik, die auf sein Betreiben hin in der russischen Volksdeputiertenversammlung überraschenderweise mit großer Mehrheit beschlossen wurde, ist nun für die Parteikonservativen zum Hebel geworden, politisch wieder Tritt zu fassen. Was damals Überraschung auslöste, hat sich heute als Taktik erwiesen.

Der Versuch des konservativen Parteiflügels, auf diese Art, über die Usurpierung der Russischen Partei, die Macht des Apparates in der gesamten KPdSU zu retten, wird gerade für viele Delgierte, die der „Demokratischen Plattform“ nahestehen, als Beweis für die Nichtreformierbarkeit der Partei aufgefaßt. Gorbatschow hat sich gegen die Demokratische Plattform mit dem Argument gewehrt, ihre Politik bedeute die Spaltung der Partei. Mehr noch: Die Reduzierung der allmächtigen KPdSU auf eine ganz normale parlamentarische Partei würde in seinen Augen die Zerstörung der Partei nach sich ziehen. Angesichts der Vorgänge auf dem Russischen Parteikongreß könnte genau dies schon bald in seinem Interesse liegen.

Erich Rathfelder

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