: Frauen saugen Texte auf
■ Vergangenes Wochenende hatten die 'Titanic'-Herren und Fans ihre Männertage, Thema: „Komik-Nonsens-Satire“
Hans-Hermann Kotte
Das Grandhotel Abgrund der Neuen Frankfurter Schule steht in Rendsburg am Nord-Ostsee-Kanal. Dort, im nördlichen Kreuz von Autobahnen und Wasserstraßen tagten am vergangenen Wochenende in der Heimvolkshochschule die 'Titanic' -Herren Eilert/Knorr/Gernhardt und Umfeld zum Thema Komik -Nonsens-Satire. 370 Mark Teilnehmergebühr pro Nase waren ein klares Wort, dafür blieb der Charakter der zweieinhalbtägigen Veranstaltung zunächst im Trüben. Würde es ein Heimwerkerseminar werden, ganz wie die Dichtertreffen bei Dorfschullehrer Kempowski? Ein Kontakthof-Fest für Germanisten, eine ausgewalzte Lesung oder schlichte Werbung für den Mit-Organisator, den schweizer Haffmanns Verlag, bei dem die bundesdeutsche Nonsens- und Satiriker-Krem publiziert?
Einmal am Frühstückstisch die tintenschwarzen Zeigefinger des Zeichners F.W. Bernstein bewundern! Einmal neben Eckhard Henscheid am Urinal über die WM philosophieren! Sich einmal von einem leibhaftigen Verleger bei Übelkeit nach dem Umtrunk die Stirne halten lassen!
Ja, es war eine Messe für rund achtzig Fans und Exegeten, bekannt als Allesfresser, wenn man ihnen nur ein paar Anekdoten, Interna und Komplimente unters Futter mischt. So ging beispielsweise der knochendröge Vortrag eines Göttinger Doktors der Germanistik über die Gattungsdifferenzen zwischen Nonsens, Satire und Burleske ohne großes Ohrenschlackern durch (Komik muß der bewußten Gedankenarbeit zuvorkommen, sonst würde man auch lachen, wenn einem die Pointe eines Witzes erklärt werden würde). Brav lauschten die überwiegend männlichen, leicht bläßlichen und bärtigen mittzwanzigjährigen 'Titanic'-Leser der mechanistischen Definiererei, und stellten am Ende sogar noch Fragen, bevor sie die mitgebrachten Bücherstapel signieren ließen. Doch bei den sozialen und politischen Komponenten der Satire und Komik, sowie dem Antrieb zum Komischen mußte der Mann aus Göttingen passen.
Auch die Tatsache, daß keine einzige Satirikerin anwesend war und es überhaupt weniger Satirikerinnen zu geben scheint, wurde nur mal so am Mittagstisch erörtert. Die wenigen Teilnehmerinnen diagnostizierten :„abgehobene Hirnwichserei“, „typisch männliche Distanz“, „Vatermörderei mit Worten“. Der Versuch, den Referenten zu Geschlechterfragen Erhellendes zu entlocken, wurde schnell wieder aufgegeben, nachdem sich Joseph von Westphalen in einem Seitengespräch geäußert hatte. Nein, diese sehr komplexe Frage könne er nicht so mir nichts, dir nichts beantworten, aber bei seinen Lesungen sei ihm schon aufgefallen, „daß die Frauen meine Texte stärker aufsaugen als Männer“.
Die Altherren Henscheid und Bernstein gingen augenscheinlich völlig unvorbereitet auf die Bühne, wo sie zum Thema Schreiben, Zeichnen und Lesen in satirischen Zeitschriften sprechen sollten. Sie versuchten, die Geschichte der 'Titanic‘ und ihrer Vorgängerin 'Pardon‘ anhand der Entwicklung des Impressums zu illustrieren. An sich keine schlechte Idee, doch mehr als ein gestammelter Dialog über die goldenen Sechziger und vor allem über die eigenen großen, großen Verdienste um die Satire kam nicht dabei heraus. Garniert wurde die Selbstbeweihräucherung noch mit rhetorischen Fragen, ob ein Redakteur automatisch Zensor sei, ob ein Satireblatt einen Chef brauche oder nicht. Dazu noch zerknirschte Selbstkritik: Eigentlich sei 'Pardon‘ in den entscheidenden Jahren der Studentenbewegung zu unpolitisch gewesen und habe „sauberen Sex“ als Käufer -Lockmittel... Und überhaupt, die 'Titanic‘ heute sei erst recht eine Katastrophe, zu „infantil“, zu „postmodern“, besonders die Gottschalk-Buntstift-Affäre, Genschman und Schnitzlers Kolumne.
Fast wäre es in diesem Stil weitergegangen, wenn nicht die jetzigen 'Titanic'-Macker Knorr und Gernhardt aus dem Publikum heraus - quasi von unten - interveniert hätten. So blieben wenigstens die Erkenntniswerte, daß auch Satirikern sich der Rückblick trübt, daß es in der 'Titanic‘ einen Pappi-Sohn-Konflikt gibt und daß der berüchtigte Generationswechsel dort längst schon stattgefunden hat.
Erst Peter Knorr trug zur Rettung des Wochenendes bei. In seinem didaktisch durchaus wertvollen Beitrag Komik, Nonsens und Satire in Funk, Film und Fernsehen, schilderte er eindringlich Fälle von Zensur aus „25 Jahren Bedenkenträgerschaft im Rundfunk“. Beim HR zum Beispiel mußten früher die Sendemanuskripte drei Tage vorm Produktionstermin dem Indentanten vorgelegt werden. Auch Otto-Film-Produzent Horst Wendtlandt bekam sein Fett ab. Knorr las eine Original-Drehbuch-Szene aus dem Otto II -Film vor und präsentierte dann die aus finanzieller und geschmacklicher Vorsicht entstellte Sequenz: „Der Wendtlandt übt schon allein dadurch Zensur aus, daß er etwas nicht begreift“. Schließlich zeigte er noch eine umgeschnittene und umsynchronisierte Version der Sechziger-Jahre-Serie Forellenhof, die die Eilert-Knorr-Gernhardt-Gruppe Anfang der Achtziger für den Hessischen Rundfunk gemacht hatte. Brüllend absurd, aber die eine Folge wurde nur im dritten Programm, die andere gar nicht gezeigt. Diese Manipulation bereits gedrehten und gezeigten Materials sei die „angemessene Form von Satire im Fernsehen “, sei aber nur in Italien oder England denkbar, in der BRD fast unmöglich.
Die Vorträge von Joseph von Westphalen und Robert Gernhardt hielten das jetzt erreichte Niveau von Unterhaltung&Information virtuos. Westphalen versuchte seine Ausdrucksform, das Pamphlet, als radikalere Form der Satire zu verkaufen: „So tief wie möglich unter die Gürtellinie, dabei das Niveau so hoch wie möglich“. Zuviel Eleganz und Konsens seien dem Pamphlet im Gegensatz zur Satire aber abträglich. „Die Satire macht gute Stimmung, das Pamphlet nervt“. Zu allererst aber müsse ein Pamphlet „justiziabel“ sein, Vorsicht bei Bundespräsident und -wehr. Dazu brachte Westphalen allerlei erhellende Zitate aus Urteilen und Grundgesetz- und Strafrechtskommentaren.
Den erschütternsten Bericht zur Lage der Satire gab aber Robert Gernhardt, Satirekritik im Wandel der Zeiten: Während noch vor zwei Jahrzehnten der Frontverlauf klar gewesen sei und die Kritik an der Satire aus dem angegriffenen Lager - Staat, Kirche, Armee etc. - kam, ginge nun einiges durcheinander. So werbe etwa die CDU längst selbst mit dem Begriff „Birne“, während von links ständig neue Zonen für witzfrei erklärt würden. Beispiel: der spießige Aufstand des Anstands, der nach einer Weihnachtskarikatur von Elisabeth Kmölninger 1988 auf der taz-Leserbrief-Seite losbrach. Kmölninger hatte das Jesus -Kind gezeichnet, das, bereits mit einer Dornenkrone auf dem Kopf, gerade zwischen Marias Schenkeln hervorkommt. Gernhardt klagte: „Die Leser haben alles mobilisiert: menschenverachtend, kinderverachtend, antisemitisch, gewaltpornographisch, frauenverachtend, geburtsverachtend, Verherrlichung von Folter, das war stalinistisch und rechtsradikal“. Als einzig mögliche Satire-Zielscheibe biete sich nur noch der Weltraum an. „Alles andere ist sonst Robbenverachtung oder Wüstendiskriminierung“.
Tatsächlich gibt es aber auch für Gernhardt Tabuthemen: „Israel, das Judentum und der Konflikt in den besetzten Gebieten“. Ob er sich auch beim Thema Frauen schon mal seine Gedanken mache, schob dann jemand aus dem Publikum nach. Keine Antwort. Wobei wir wieder beim Mittagstisch-Thema wären. Von männnerverachtender Satire war übrigens an keinem Punkt die Rede.
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