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Vier+zwei: Einigung mit Hindernissen

■ Schewardnadse versucht, den Abbau der Besatzungsrechte vom Zeitpunkt der deutschen Vereinigung zu trennen / Die anderen fünf Außenminister sprechen sich einhellig dagegen aus / Dennoch zuversichtliche Stimmung: Im November will man sich einig sein

Berlin (ap/afp/taz) - Zuerst der Bonbon, dann das dicke Ei: Bei der zweiten Außenministertagung der vier Besatzungsmächte und der beiden deutschen Staaten am Freitag in Ost-Berlin schlug Sowjet-Außenminister Schewardnadse zunächst vor, innerhalb von sechs Monaten nach der deutschen Einigung sollten alle Besatzungstruppen aus Berlin abziehen. Dann schob er jedoch das dicke Ende nach: Er drang auf eine Hinauszögerung der vollen Souveränität Deutschlands. Dies stieß auf die einhellige Ablehnung der fünf anderen Delegationen. Die sechs Außenminister wollen dennoch bis zum übernächsten Treffen im September in Moskau eine „endgültige Lösung“ erreichen.

Schewardnadse schlug eine Übergangsperiode von drei Jahren bei der außenpolitischen Einbindung Deutschlands und Obergrenzen für eine künftige deutsche Armee vor. In dieser Zeit sollte die deutsche Armee auf 200.000 bis 250.000 Soldaten begrenzt werden, sagte Schewardnadse nach Informationen aus der britischen Delegation. Für fünf Jahre sollten die Bündnisse ihren gegenwärtigen Geltungsbereich in Deutschland nicht ausdehnen. Eine zeitliche Trennung der Vereinigung und der Wiedererlangung der vollen Souveränität wurde von den anderen Fünf einhellig zurückgewiesen.

Die zweite Runde hatte am Vormittag mit dem Abbau des legendären alliierten Berliner Kontrollpunktes „Checkpoint Charlie“ begonnen. Die sechs Außenminister traten dann im Ost-Berliner Schloß Niederschönhausen zusammen.

Schewardnadse hatte in seiner Ansprache am Checkpoint vorgeschlagen, alle alliierten Truppen aus ganz Berlin sechs Monate nach der deutschen Einigung abzuziehen. In Berlin sind nur wenige sowjetische Soldaten, jedoch 12.000 Mann der drei Westmächte stationiert.

Auf diesen Vorschlag gab es auf dem Treffen zunächst keine Antwort. Hurd erklärte jedoch, es gelte zwischen den Fragen zu trennen, die in die Kompetenz der 2+4-Runde fielen und solchen, die dort nicht entschieden werden können. Dazu zählte er den Truppenabzug aus Berlin ebenso wie eine Reduzierung der NATO-Truppen in Deutschland. Auf der abschließenden Pressekonferenz verbreiteten alle Beteiligten Zuversicht: Im November werde man sich trotz aller Meinungsunterschiede einigen. Siehe Tagesthema auf Seite 3

Ost-Berlin: Alliierte für E i n h e i t / zwei

Zwtl: Polen bei nächstem Treffen dabei

Dieser Zeitplan würde sich in Pläne der Bundesregierung für gesamtdeutsche Wahlen und den Vollzug der Vereinigung im Dezember einfügen. Als Termin für die Urnengänge zeichnet sich immer deutlicher der 9. Dezember ab.

Nach Schewardnadses Worten soll „in der Form von traditionellen Verhandlungen“ an der Formulierung eines Abschlußdokuments der Außenministerberatungen gearbeitet werden. Die Sowjetunion habe in Ostberlin einen Entwurf für ein Dokument vorgelegt, der nicht den Anspruch erhebe, der Weisheit letzter Schluß zu sein. Am Ende der Verhandlungen solle die völkerrechtlich abschließende Regelung der deutschen Einheit stehen.

DDR-Außenminister Markus Meckel teilte mit, daß am nächsten Treffen der Außenminister am 17. Juli in Paris der polnische Außenminister teilnehmen solle, um die Frage der polnischen Westgrenze „einer endgültigen Klärung zuzuführen“. Bis dahin hätten die Minister eine Expertengruppe beauftragt, eine Liste der zu klärenden Fragen in bezug auf die äußeren Aspekte der deutschen Einheit aufzustellen.

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AP/mo/rg 221939 jun 90

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