: Wohnungsnot: Prügel für Instandbesetzer
■ In Dresden demonstrieren seit Wochen Bürger gegen den Verkauf von Wohnungen / Die Stadt stoppte jetzt den Häuserverkauf / Konflikte linker und rechter Gruppen in verfallenen Wohnvierteln / Mietergenossenschaften wollen Häuser in Selbstverwaltung, doch die Stadt zögert
Dresden (ap) - Dresdens Stadtväter wollen der Empfehlung von Ministerpräsident Lothar de Maiziere trotzen und bisher volkseigenen Besitz an Grund und Boden sowie an Ein- und Zweifamilienhäusern vorerst nicht an Privatleute verkaufen. Erst sollen Richtlinien darüber her, was an wen mit dem Blick auf den größten Nutzen für die Kommunen veräußert wird.
7.000 Anträge liegen zur Zeit auf Eis. Kleine Eigenheimbauer, denen zwar das Haus, nicht aber das Grundstück gehört, und Handwerker, die das von ihnen genutzte Gelände erwerben und den Betrieb erweitern wollen, protestieren lautstark gegen die Entscheidung des CDU -geführten Rathauses. Einige haben vergangene Woche einen Hungerstreik vor den Rathaustüren begonnen.
Leute aber, die froh wären, überhaupt irgendeine Wohnung zu bekommen, läßt die Angelegenheit recht unberührt. Ein „schlimmes Erbe“ nannte Oberbürgermeister Herbert Wagner die Situation. Rund 30.000 Anträge auf eigenen und größeren Wohnraum oder auf solchen mit Bad und Innentoilette stapeln sich bei der Stadtverwaltung. Von rund 240.000 Wohnungen in der Stadt sind etwa 5.000 polizeilich gesperrt oder unzumutbar.
„Sicher, trocken, warm“ waren die im zentralistischen SED -Staat vorgegebenen Kriterien. 1990 wollte die frühere Regierung unter allen Umständen ein groß angelegtes Wohnungsbauprogramm als erfüllt vermelden, das für jede Familie eigene vier Wände versprach. Über deren Qualität wurde im Laufe der Jahre und mit zunehmenden ökonomischen Schwierigkeiten immer weniger gesagt.
Dresdens Ex-Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer wich erst im November 1989 von dem bei Stadtrundgängen mit Gästen üblichen Protokollkurs ab und führte das Oberhaupt der Hansestadt Hamburg, Henning Voscherau, in die Äußere Neustadt. Europas größtes geschlossenes Ensemble der Gründerzeit ist dem Verfall ausgesetzt. Geborstene Schornsteine, eingebrochene Dächer, zersprungene Fenster zeigen es. Eine Handvoll Enthusiasten in der „Interessengemeinschaft Äußere Neustadt“ listete auf, daß rund 30 Prozent der etwa 8.000 Wohungen nicht vermietbar sind. Vor allem junge Leute machten seit Jahren für sich das beste daraus und wohnten schwarz dort. Die Behörden einschließlich Polizei beließen es beim „observieren“, und so hatte mancher Student eine kostenlose Unterkunft.
Jetzt aber wird dieses Terrain, das nur wenige Minuten Fußweg vom renommierten Hotel Bellevue entfernt beginnt, zum Ort neuer Spannungen. Da sind zum einen die Instandbesetzer, die die Häuser vor totalem Ruin bewahren wollen. Auf einem schwarzen Banner an einem Gebäude am Bischofsweg steht: „Mach was, tu, was Dir gefällt, setz Dich zur Wehr“. Vor die schon herausgebrochenen Fenster haben die jungen Bewohner Türflügel geklemmt. Das defekte Dach und andere Trostlosigkeiten scheinen sie nicht zu stören, wenn sie sich auf dem noch vorhandenen Balkon amüsieren.
Viele von ihnen wollen dort wohnen bleiben und drängen die Instanzen auf Verträge, wenigstens zur Teilnutzung der offiziell abgeschriebenen Gebäude. 35 Mietergenossenschaften sind bereit, ihr gemeinsam bewohntes Haus auch gemeinsam zu erwerben und wiederherzustellen. Die kommunalen Behörden zögern. Für dieses Viertel - es ist das problematischste von wenigstens zehn ähnlichen in Dresden - gibt es keine langfristigen Projekte. Keiner weiß, welche Firma wann wieviel Baufreiheit braucht.
Andererseits sind die Hausbesetzer bevorzugtes Angriffsobjekt von Gruppen der rechtsradikalen Szene. Die Schwarzmietermannschaft und die Inhaberin des Cafes „Stillos“ in der Hechtstraße sind regelmäßig gewalttätigen Überfällen ausgesetzt. „Wann gibt es die ersten Toten?“ fragte jetzt eine lokale Zeitung in Anbetracht der schweren Zusammenstöße. Ein Opfer liegt noch immer mit doppeltem Schädelbasisbruch im Krankenhaus. „Wir sind gegen Randale“, soll es demgegenüber bei der Gründung eines Kreisverbandes der „Republikaner“ geheißen haben. Der konstituierte sich Anhänger der in der DDR verbotenen Partei dementierten dies nicht - in einer Gaststätte der Dresdner Äußeren Neustadt.
Christiane Pfeifer
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