Müllkutscher läuten Streikwelle ein

■ Ostberliner Müllfahrer in einen unbefristeten Ausstand getreten / Müllwagen vor dem Roten Rathaus / Löhne sollen auf Westberliner Niveau steigen: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ / Magistrat verurteilt den Streik und verweist auf die Zuständigkeit der DDR-Regierung

Ost-Berlin. Die von vielen für die Zeit nach dem 1. Juli befürchtete Streikwelle in den Ostberliner öffentlichen Betrieben begann schon gestern. Ein Streik der Müllfahrer sorgte dafür, daß die Mülleimer von etwa 80.000 Haushalten der Hauptstadt nicht geleert wurden. Um fünf Uhr früh traten die 3.200 Müllkutscher der Stadtwirtschaft in den unbefristeten Ausstand, über 200 der orange gestrichenen Müllwagen rollten vor das Rote Rathaus. Dort, so Sprecher Richard Barthel gestern zur taz, wollten die Streikenden ausharren, „bis wir's geschafft haben“. Sie fordern Löhne in Höhe von etwa 70 Prozent des Einkommens eines Müllkutschers bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) in West-Berlin: „Wenn wir die gleiche Arbeit machen, möchten wir auch den gleichen Lohn.“

Während das Bündnis 90 in einer Erklärung die Forderungen unterstützte, verurteilte der Magistrat den Streik und forderte die Müllkutscher auf, die Arbeit sofort wieder aufzunehmen. „Die kommende schwierige Zeit in Berlin“, hieß es, könne nicht bewältigt werden, „wenn einzelne Beschäftigtengruppen versuchen, sich mit dem Ellenbogen auf Kosten anderer durchzusetzen“. Der Streik treffe „das Berliner Gewerbe in einer äußerst sensiblen Phase“ und gefährde damit Arbeitsplätze.

Die Müllfahrer dagegen fürchten, daß mit der Währungsunion auch auf sie schwierigere Zeiten zukommen. Neue Steuern, so ihr Argument, würden die Lohnerhöhungen völlig zunichte machen, die sie sich im Januar mit einem halbtägigen Streik erkämpft hatten. Überdies sei die Müllmenge und damit die Arbeit seit der Grenzöffnung um ein Drittel gewachsen. Die Müllkutscher, die zur Zeit bis zu 1.500 Mark im Monat verdienen, wollen deshalb eine Lohnerhöhung auf Nettobeträge von 2.100 bis 2.400 Mark durchsetzen. Finanziert werden könnte die Aufstockung durch höhere Müllabfuhr-Tarife für Betriebe und Gewerbetreibende. Das, so die Hoffnung der Müllkutscher, könnte auch die aus dem Westen anrollende Verpackungslawine bremsen. Während in West-Berlin für die Abfuhr einer Tonne Müll 135 Mark bezahlt werden müßten, liege der Tarif in Ost-Berlin zur Zeit noch bei lächerlichen 11,75 Mark.

Den Streik habe eine Vertrauensleuteversammlung am Montag beschlossen, nachdem sich der Stadtrat für Arbeit und Betriebe, Kurt Blankenhagel (SPD), kurzfristig geweigert habe, einen mit ihm ausgehandelten Vertrag zu unterschreiben, erklärte Barthel. Blankenhagel war gestern nicht zu erreichen, Magistratssprecher Hoßbach dementierte aber energisch Gespräche mit den Müllfahrern. Für die Löhne bei der Stadtwirtschaft sei zur Zeit noch die Ostberliner Regierung zuständig, der Magistrat sei deshalb der falsche Ansprechpartner. Nach Hoßbachs Meinung ist es außerdem „unseriös“, zwischen den Müllabfuhr-Gebühren und dem Lohn der Müllfahrer eine Verbindung herzustellen. Eine Tariferhöhung sei zwar sinnvoll, werde aber für die „dringend erforderliche Sanierung von Deponien“ gebraucht.

Der Magistrat hoffte gestern auf ein für den Abend angesetztes Treffen zwischen den Müllfahrern und dem Wirtschaftsministerium der DDR. Barthel dagegen setzt auf die Arbeitersolidarität: Die Betriebsgewerkschaften bei den BVB, beim Magistrat und den Wasserwerken hätten sich bereits „solidarisch“ erklärt und würden zur Not ebenfalls die Arbeit niederlegen.

hmt