: Das KWV-Imperium bricht auseinander
Ehemalige Eigentümer melden ihre Ansprüche an, gemäß der Vereinbarung zwischen der DDR und der BRD / Mieter zahlen die gesamte Jahresmiete schon im voraus - in Ostmark / KWV sieht sich der Pleite entgegendriften / Sanierung der Altbauten wird problematisch ■ Aus Berlin Eva Schweitzer
Der kluge Mieter baut vor, wenn die Westmark am Horizont dräut. Eine Million Mark an Mietvorauszahlungen in nur einem Berliner Bezirk ging kurz vor der Währungsunion bei der dortigen Kommunalen Wohnungsverwaltung ein - in Ostmark. Die Berliner Mieter nutzen massenhaft die Möglichkeit, ihre Miete bis Ende des Jahres im voraus zu zahlen, sehr zum Betrüben des Ostberliner Baustadtrates Thursmann. Denn wenn diese Mieten nur 1:2 umgetauscht werden, driftet die KWV womöglich der Pleite entgegen.
Das ist nicht die einzige Unwägbarkeit, mit der sich Mieter, Politiker und die Wohungswirtschaft in der DDR, vor allem in Ost-Berlin, herumschlagen müssen. Am 1. Juli gerät alles durcheinander: Das Imperium der 440.000 Berliner KWV -Wohnungen, meist im Altbau, wird zerbröseln, denn eventuell vorhandene ehemalige Eigentümer werden ihre Ansprüche gemäß der „gemeinsamen Erklärung der BRD und DDR“ anmelden. „Von der KWV am Prenzlauer Berg wird nicht mehr viel übrig bleiben“, schätzt Thurmanns Referent Jesse. Zwar war ein Teil des KWV-Besitzes seit jeher Staatseigentum, aber ein Großteil der Häuser wurde „im Lauf der Jahre zusammenenteignet“, meint Jesse. 80.000 KWV-Wohnungen sind ohnehin nach wie vor in Privateigentum und fallen sofort aus der Zwangsverwaltung. „Vielleicht 200.000 Wohnungen“, schätzt Thurmann, blieben im Besitz der KWV.
Die ehemaligen Besitzer haben sechs Monate Zeit, ihre Ansprüche anzumelden, der Stichtag liegt noch nicht fest. „Und nach sechs Monaten wissen wir nur, wieviel Ansprüche es gibt, aber nicht, ob die berechtigt sind“, meint Jesse. Und bis man das nicht weiß, darf mit den umstrittenen Häusern nichts passieren: Keine Sanierung, kein Neubau, kein Abriß.
Dabei stellt die dringend anstehende Sanierung die KWV ohnehin vor erhebliche Probleme. Gut 30.000 ihrer Altbauwohnungen stehen leer, die meisten davon wurden auf Abriß bewirtschaftet und müssen mit viel Geld instandgesetzt werden. Nun wurden die vormaligen volkseigenen Betriebe kürzlich zu Kapitalgesellschaften umgewandelt, eine pro Berliner Bezirk, mit einer zu vernachlässigenden Stammeinlage von 50.000 Mark. Einziger Gesellschafter ist der Magistrat und einzige potentielle Geldquelle sind die Häuser und Wohnungen, die den KWVs übertragen wurden und die sie versilbern können und wohl müssen, um den Rest zu sanieren. Jedoch auch dies geht erst, sobald klar ist, wem was gehört.
Und die KWVs selbst sind schwerfällige Verwaltungsapparate, in ähnlich desolatem Zustand wie ihre Häuser. Inzwischen wurden gar Pläne öffentlich, westliche landeseigene Gesellschaften sollten die Bezirks-KWVs übernehmen, was freilich von allen Beteiligten bis jetzt dementiert wird.
Gefürchtet werden deshalb weniger die potentiellen neuen West-Besitzer, sondern die Zeit der Rechtsunsicherheit, die der Wieder-Inbesitznahme vorausgeht. Denn die Westler bringen wenigstens Geld mit, das sie in das Haus stecken können und wohl auch müssen. Das werden sie sich jedoch, so darf man vermuten, von den Mietern wiederholen.
Im Bauministerium gibt es verschiedene Modellrechnungen, die Instandsetzung auf die Miete umzulegen. Die Städte jedenfalls können diese Milliardenbeträge nicht aufbringen. „Wir haben im Haushalt eine Deckungslücke von 1,2 Milliarden“, meint Thurmann. Die Stadt dürfe dieses Jahr weder die Tarife für Gas, Strom oder Busfahren erhöhen, noch seien angesichts der krisengeschüttelten Betriebe nennenswerte Steuereinnahmen zu erwarten.
Zwar verfügt der Westberliner Senat über Stadterneuerungsmittel in Millionenhöhe und in internen Senatsgutachten wird die Sanierung von Köpenick und Friedrichshain schon mal mitgeplant. Vor der Wiedervereinigung dürfen die Gelder jedoch aus rechtlichen Gründen nicht nach drüben verschoben werden. Und im Westen werden sie ja auch gebraucht.
Ähnlich große Konsequenzen dürfte es nach sich ziehen, daß die sogenannte „Wohnraumlenkungsverordnung“ nur wenig später, zum 1.August aufgehoben wird. Dann dürfen die zwei Millionen West-Berliner legal nach drüben ziehen. Und die Privateigentümer dürfen an sie vermieten - vermutlich zu marktgerechten Preisen. „Wir haben jetzt schon im Altbau einen Schwarzmarkt, die Mietpreisbindung ist gar nicht zu kontrollieren“, sagt die Vorsitzende des Ostberliner Mieterbunds, Regine Grabowski. Wie damit umzugehen ist, darüber sind die Meinungen geteilt. DDR-Bauminister Viehweger schlägt vor, die Miethöhe danach festzulegen, ob die Arbeitsstätte im Osten oder im Westen ist. Freilich ist er sich selber nicht sicher, ob das praktikabel ist: Der Verwaltungsaufwand ist hoch, der Datenschutz wird berührt und es müßte ja auch danach fortlaufend kontrolliert werden. Andere Vorstellungen haben Baustadrat Thurmann und sein West -Kollege Nagel: Die Mieten im Osten müßten kurzfristig auf das drei- bis vierfache steigen, so daß sie sich dem unteren Rand des West-Niveaus anpassen würden. Und arme Ost-Berliner bekämen dann eben Wohngeld, um auf dem Wohnungsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Einig sind sich alle, daß die „Durchmischung“ von Ost- und West-Berlinern gewünscht ist. „Keine neue Mauer“ ist die Devise. So will Thurmann einen gemeinsamen Wohnberechtigungsschein für beide Teile der Stadt einführen, mit dem man eine Sozialwohnung beziehen darf und damit „schnell und sozial verträglich einen „einheitlichen Berliner Wohnungsmarkt“ herstellen.
Denn auch für die West-Berliner hat der 1.Juli Konsequenzen. „Die ganze DDR bis hin zum Ministerpräsidenten de Maiziere hat wegen ihrer geringen Einkommen wahrscheinlich Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein“, warnte Bausenator Nagel. Demnach dürfte für die Westler kaum noch etwas übrig bleiben, denn der Wohnungsmarkt in West -Berlin ist dicht. Es herrscht heillose Wohnungsnot: 140.000 Wohnungssuchende, 40.000 Wohnungslose, darunter gut 20.000 in Lagern und Containerstädten und circa 12.000 Obdachlose bevölkern die Halbstadt. Bis zu 1.000 Westmark für eine Zwei -Zimmer-Wohnung zu zahlen, ist nicht ungewöhnlich. Der Kreis schließt sich. „Alle, denen der Westen zu teuer ist, werden nach drüben ziehen“, prophezeit Nagel. „Und womöglich werden langfristig die armen Leute im Osten wohnen und die Reichen im Westen.“
Angst vor den Westlern hat man inzwischen im Umland. Denn beispielsweise die Potsdamer Villen sind auch für reiche Westler interessant. „Womöglich werden unsere Bürger dann in die Dörfer vertrieben“, befürchtet der Potsdamer Baustadtrat Kaminski. Da scheint nur Neubau zu helfen. Die Neubaupläne werden, geht es nach dem Westberliner Bausenator, gigantische Dimensionen annhemen müssen. Nicht 35.000 Wohnungen in vier Jahren für West-Berlin, sondern 230.000 Wohnungen für die ganze Stadt und das Umland würden gebraucht, meint Nagel. Dies überfordere aber auch die finanziellen Kapazitäten des reichen West-Berlins. Die jetzigen Pläne jedenfalls, so Nagel, seien in wenigen Monaten „Makulatur“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen