Die Rolle des Bettelnden

■ Ist Nordrhein-Westfalen ein Filmland im Aufbruch? Zum diesjährigen Medienforum in Köln

Politik und Prestige werden groß geschrieben - in der Staatskanzlei Düsseldorf ganz groß, besonders groß, einfach riesig. Für das medienpolitische Renommee der sozialdemokratischen Landesregierung gilt eine Filmstiftung mit großzügigem Etat zur finanziellen Förderung der Filmwirtschaft als das richtige Instrument, Goldgräberstimmung an Rhein und Ruhr zu verbreiten. Doch im Übereifer hat man bei der öffentlichen Ausrufung des Filmlandes Nordrhein-Westfalen das Subjekt der Bemühungen volkommen vergessen - den deutschen Film. Wichtiger schien der stolzgeschwellten Landesregierung, sich mit der Filmstiftung Nordhrein-Westfalen ein Denkmal zu setzen. Es könnte schnell ein weiteres Grabmal für den totgepflegten Leichnam Film werden.

Nie war die Situation offener als zuvor. Vor einem Jahr auf dem ersten Medienforum in der Dortmunder Westfalenhalle hatte Ministerpräsident Johannes Rau den Torso des Denkmals enthüllt: eine Filmstiftung schon 1990, mit einem beträchtlichen finanziellen Segen. Bis zu 30 Millionen Mark jährlich könnten ausgeschüttet werden. Eine stattliche Summe, die nach einem komplizierten Schlüssel zur einen Hälfte vom WDR kommen sollte.

An den Kölner Sender fließen seit Anfang dieses Jahres Gelder zurück, die zuvor von den Rundfunkgebühren abgezweigt wurden und an die Landesrundfunkanstalt gingen. Die für die privaten Sender zuständige Landesanstalt hat die Gelder nicht ausgeben können und wird auch in Zukunft Mittel an den WDR zurückzahlen - mit steigender Tendenz. Mit der satten SPD-Mehrheit im Landtag und durch politischen Druck auf die öffentlich-rechtliche Anstalt ist es der Landesregierung gelungen, die sogenannten „Überschußgelder“ für die Filmstiftung zu binden. Für 1993 rechnet die Landesrundfunkanstalt mit 13 Millionen DM Rückerstattung jährlich, das Land Nordrhein-Westfalen soll nach den bisher geäußerten Vorstellungen Mittel in derselben Höhe zuschießen.

Politik und Prestige, die zwei großen Ps, begleiteten Johannes Rau auch in diesem Jahr auf das Medienforum, diesmal nach Köln. Zu dumm nur, daß die Experten in der Sozialdemokratie das medienpolitische Klima vollkommen falsch eingeschätzt hatten. So geschah etwas, das mit Prestigegewinn weniger zu tun hatte, schon eher mit absurdem Theater. Der Ministerpräsident kündigte vollmundig in seiner Rede zur Eröffnung des Medienforums an, daß das Land „die Verhandlungen mit dem WDR über das Design der Filmstiftung vor wenigen Tagen erfolgreich abschließen“ konnte. Sein Medienreferent, der unglückliche Hans Gerd Prodoehl, schaffte wenig später auf dem Podium eine elegante Wende um 180 Grad, die seinen Ministerpräsidenten ungewollt zum Lügner machte. Aber wer nimmt Politiker tatsächlich beim Wort?

Daß die Ankündigung der Filmstiftung wie ein Knallbonbon platzte, liegt an einer filmpolitischen Debatte, die im Kleinen bereits Ende Mai auf dem Landesforum Filmkultur in Düsseldorf aufbrach und während des Medienforums vollends zur Grundstimmung geriet. Unisono hatten deutsche Verleiher und Produzenten, Autoren und Regisseure die Förderungsmodelle als Hauptschuldige für die Misere des deutschen Films ausgemacht. Die Gelder würden falsch verteilt und zu breit gestreut. Die Richtlinien gängelten die Filmindustrie und degradierten sie zu Bittstellern gegenüber Gremien und Fernsehanstalten.

In dieser angespannten Situation der Schuldzuweisung präsentiert eine nichtsahnende Landesregierung eine Filmstiftung, die ebenso staatsnah wie fernsehabhängig ist, und wundert sich dann, daß ihr Vertreter mit wehenden Fahnen im Protest der Betroffenen untergeht. Eine Welle der Empörung brach über die Staatskanzlei und den WDR herein und wollte gar nicht mehr aufhören hereinzubrechen.

Völlig überrascht mußte der WDR zur Kenntnis nehmen, daß er die Filmstiftung zu Unrecht in trockenen Tüchern wähnte. Erschreckt über derart vehemente und erbitterte Stimmen zog Hans Gerd Prodoehl die Notbremse und kündigte noch Verhandlungsbedarf an. Vor allem die Frage der Filmrechte, die der WDR gut bei sich aufgehoben sieht, von denen sich die Filmproduzenten aber Gewinne beim Poker mit privaten Sendern versprechen, wenn sie ihnen zugesprochen werden, ist strittig. Auf einmal galt nichts mehr von der salbungsvollen Rede des Ministerpräsidenten: „Das Konzept steht. Die Finanzierung ist gesichert. Die Filmstiftung Nordrhein -Westfalen kann damit schon bald ihre Arbeit aufnehmen.“

Nichts als ein paar warme Worte also zu einem Projekt, das Nordrhein-Westfalen einen Hauch von Hollywood bringen sollte - ein Denkmal, dem plötzlich jemand den tönernen Sockel weggeschlagen hat. Aus der Staatskanzlei perlen seitdem die Sprechblasen wie Kohlensäure im Sekt. Einen neuen Vorschlag will Hans Gerd Prodoehl in der Schublade haben, doch bisher hat weder der WDR noch die Öffentlichkeit etwas davon gesehen. „Die Filmförderung wird bald etabliert und damit meine ich im Sommer“, beharrt der Medienreferent und erwähnt dabei nicht, daß bisher nicht einmal ein Haushaltsansatz auf den parlamentarischen Weg gebracht ist. Die finanzielle Beteiligung der Landesregierung, die ihr bisheriges Programm zur wirtschaftlichen Filmförderung - immerhin 5,5 Millionen DM pro Jahr aus der Kasse des Wirtschaftsministeriums - in der Filmstiftung aufgehen lassen will, ist nach wie vor ungeklärt. Wenn das Land noch 1990 Mittel über die Filmstiftung ausschütten will, muß spätestens nach der Sommerpause ein Nachtragshaushalt beraten werden. Daß sich die Landesregierung bedeckt hält, ist schlimm, aber noch kein Unglück.

Wirklich unglücklich ist etwas anderes. Nordrhein-Westfalen will ein Filmland im Aufbruch sein, hat aber im Moment keinen Pfennig für die Förderung von Projekten. Wie das kommt? Der Etat der wirtschaftlichen Filmförderung für 1990 ist bereits ausgeschöpft. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß genau an dem Tag, in dessen Verlauf die Filmstiftung auf dem Medienforum so kläglich scheiterte, Briefe von der Westdeutschen Landesbank, die die derzeitige Filmförderung im Auftrag des Wirtschaftsministeriums abwickelt, an ein gutes Dutzend einheimischer Produktionsfirmen gingen. Darin wurde mitgeteilt, daß die „für die wirtschaftliche Filmförderung vorgesehenen Haushaltsmittel für das Jahr 1990 derzeit voll belegt“ seien.

Die angeschriebenen Firmen waren nicht irgendwelche Bittsteller mit vagen Vorstellungen. Alle hatten zuvor vom Fördergremium grünes Licht bekommen, daß ihr Projekt für eine Förderung empfohlen wird. In der Regel folgt dann der Bewilligungsbescheid und das Geld, sobald der Produzent die Finanzierung des Projekts nachweisen kann. Einige Firmen stehen nur wenige Wochen vor Drehbeginn und sehen nun alles gefährdet. Juristisch anfechtbar ist die Absage des Landes nicht, eine Vorbehaltsklausel sichert das Ministerium ab, aber wie es zu der vorzeitigen Ausschöpfung des Budgets und damit zu völlig haltlosen Versprechungen gegenüber den nun verprellten Filmemachern kommen konnte, wissen wohl nur die mit der Filmförderung betrauten Mitarbeiter. Und die halten sich bedeckt.

Vollends kurios wird die Situation durch einen Zusatz am Schluß des Briefes, in dem die WestLB darauf hinweist, daß die Organe der Filmstiftung den Antrag auf Fördergelder übernehmen werden. Altlasten für einen Apparat, der noch gar nicht gegründet ist. Hans Gerd Prodoehl sieht das gelassen, eine „förderungsfreie Zeit“, wie er das Loch in der Filmförderung nennt, läßt sich eben nicht vermeiden, wenn man Großes im Sinn hat.

Das wahre Unglück aber ist die Abhängigkeit der Filmwirtschaft von dem System der Förderung. Alle ärgern sich über die ungeschickte Verwaltung der Millionen, die doch genau genommen nur Kleckerbeträge sind, aber alle sind darauf angewiesen und fügen sich in die Rolle des Bettelnden, der immer um den Fußtritt fürchten muß. So wird auch die Filmstiftung, wenn sie dann erst einmal da ist, trotz des großen Murrens während des Medienforums als weitere bürokratische Hürde im Gerangel um die Fleischtöpfe hingenommen werden. Nach dem Ärger kommt schließlich der erhoffte Scheck. Dem Prestige und der Politik der Landesregierung wird das sicher nicht abträglich sein, obwohl es im Augenblick eher danach aussieht, daß noch ein großes P hinzukommt - die Pleite.

Christof Boy