Armut im Paradies

■ Sich von Früchten ernähren und unter Palmen faulenzen - von solcher Idylle träumen wahrscheinlich nur konsumgesättigte Weiße. Die meisten Bewohner von West-Samoa dagegen müssen in die Fremde, meist nach Neuseeland ziehen, um mit dem dort verdienten Geld mehr als das nackte Überleben ihrer Landsleute zu gewährleisten.

Von

JOHANN BERNHARDT

us dem Radio ertönt eine monotone Stimme. Ungerührt und emotionslos zählt sie die Namen auf. Ob in privaten Häusern, öffentlichen Gebäuden, in Bars oder im Taxi - die Menschen lauschen gespannt, in der Hoffnung, den eigenen Namen zu hören. Apia, die Hauptstadt West-Samoas, ist in hektischer Betriebsamkeit gefangen. Es ist früher Morgen, die meisten Menschen beginnen mit der Arbeit. Manche unter ihnen können den Tag gelassen angehen - sofern ihr Name aus dem Radio erklang. In diesem Fall erwartet sie nämlich eine Barüberweisung von einem Verwandten in Übersee. Amerikanisch -Samoa, die USA, Australien und Neuseeland - viele Samoaner sind in diese Länder ausgewandert, ursprünglich in der Hoffnung auf Arbeit, Einkommen und Ersparnisse als Basis für die spätere Gründung eines Geschäftes in der Heimat. Selbst ein niedriger Lohn in den genannten Ländern erlaubt neben dem Sparen noch, die zurückgebliebenen Mitglieder der Großfamilie zu ernähren.

Samoa liegt isoliert in der endlosen Weite des pazifischen Beckens. Es verfügt über keinerlei Bodenschätze, die im Außenhandel von Vorteil wären. Das Land gilt als eines der ärmsten unter den armen. Das tropische Klima und der Fischreichtum des Meeres jedoch gestatten den Samoanern einen geringen Arbeitseinsatz, um das Überleben zu sichern. Weitergehende Bedürfnisse sind auf dieser Basis nicht zu befriedigen. Und dennoch - während die Menschen einer streßfreien Eigenbedarfswirtschaft nachgehen und in offenen Hütten unter palmblätterbedeckten Dächern leben, gehören das Auto, der Fernseher oder der Videorekorder in vielen Aigas (Großfamilien) zur Ausstattung. Das Exportgut Nummer eins macht's möglich: 1988 machte der Artikel „Arbeitskraft“ zirka 70 Prozent der Einkünfte Samoas aus dem Exportgeschäft aus. Mehr als 80 Prozent dieser Gelder wurden in Neuseeland erarbeitet, bevor sie in West-Samoa zur Steigerung des allgemeinen Konsumniveaus beitrugen.

or einigen Monaten lebte Tapa, 18 Jahre alt, noch in seiner Heimat - einer von 150.000 Einwohnern West-Samoas. Er lebte von Früchten und Taro-Knollen, die er selber anbaute. Seine Kleidung bestand aus einem Lava-lava-Bastrock, und er schlief auf einer selbstgefertigten Matte in der offenen Hütte. Heute lebt er in Neuseeland, trägt ein modisches Jackett und hochhackige Schuhe. Er versteht die fremde Sprache nicht, hofft dennoch, möglichst bald eine Arbeit zu finden, und vertraut sich in seiner Verlorenheit bis auf weiteres der samoanischen Gemeinde an. Ein rundes Drittel aller Samoaner (62.000) lebt fern der Heimat in Neuseeland. Hier stellen sie 50 Prozent der gesamten Insulanerbevölkerung und tragen nicht unerheblich zum neuen Erscheinungsbild Aucklands bei, der größten polynesischen Stadt der Welt.

Für Tapa ist schnelle Umstellung und Anpassung angesagt. Seine Verwandten versichern ihm, daß das für Samoaner kein Problem sei, auch er würde das sicher nicht schaffen. Dabei schaut er nicht nur mit neugierigen, manchmal verständnislosem Blick auf die fremde Palangi-Gesellschaft. Auch die samoanische Welt ist in der neuen Umgebung nicht mehr ganz so, wie sie zu Hause war. Die Dörfer und ihre vertrauten Strukturen fehlen. Zwar halten die traditionellen Großfamilien noch zusammen, aber dieser Zusammenhalt geht langsam verloren. Beide Eltern arbeiten, womöglich machen sie Überstunden, oft im Schichtdienst. Sie sehen sich und ihre Kinder nur unregelmäßig. Ihre Autorität schwindet in dem Maße, wie sich ihre Abwesenheit häuft. Verwandte in der Heimat, der Spendenzwang für Hochzeitsfeste, Trauerfeiern und der Unterhalt der Kirche, Miet- und Ratenzahlungen - sie alle verlangen nach regelmäßigen Einkommen und größtmöglichem Arbeitseinsatz. Die Älteren akzeptieren den Spendendruck, denn sie sind noch eingebunden in die Traditionen. Jüngere, vor allem in Neuseeland geborene Samoaner, riskieren Konflikte, wenn von ihnen Geldleistungen für die Schulbildung ihrer Verwandten in der Heimat gefordert werden, wo sie sich eigentlich ein Auto zulegen wollten.

apa ist erschrocken über die vielen jungen Landsleute, in Banden zusammengeschlossen, ertappt bei Diebstählen und verwickelt in Gewalttaten. Ihm fehlt die Vertrautheit des Dorfes, die Anwesenheit der Eltern und Familie, die ordnende Hand des Dorfoberhauptes. In Neuseeland hat die Kirche die alten Autoritäten ersetzt. Der Pastor ist hier Oberhaupt, aber sein Einfluß auf die Jugend ist begrenzt. Zwar organisiert er Jugend- und Cricketklubs, Begegnungen junger Mütter und Gemeindefeste, doch kann er den Einfluß der westlichen Zivilisation auf die jungen Samoaner kaum verhindern.

Nicht alle jungen Leute sind noch zweisprachig, ihre Verbindung zur Heimat und zur Gemeinde geht langsam verloren. Mehr als andere Insulaner scheinen Samoaner geeignet und bestrebt, sich anzupassen, den beruflichen Erfolg in der Palangi-Gesellschaft zu suchen.

Und während Tapa zunächst unangenehme Arbeiten in einer für ihn fremdartigen Fabrik verrichten, sich in den Bauch dieses riesigen metallenen Fisches gefangen fühlen und weder die Arbeiter, noch die Arbeitsvorgänge verstehen wird, könnte es doch sein, daß er sich bald an seinen erfolgreicheren Landsleuten orientiert. Die Anpassungsschwierigkeiten zu überwinden, wird sein nächstes Ziel sein, auch wenn er damit ein Stück seiner Identität aufgeben und durch fremde Elemente ersetzen muß.

Der Kontakt zur Familie, zu samoanischen Freunden und zur Gemeinde wird ihm den notwendigen Rückhalt geben, in der neuen Umgebung zu bestehen. Er lebt in zwei Welten. Schon bald wird er sich in beiden bewegen können, doch zu keiner vollständig gehören. An ein zurück in die Heimat denkt er nicht mehr. Nur die Gedanken und die Zahlungsanweisungen machen sich regelmäßig auf den Weg dorthin.