Ausstellung in Düsseldorf: "um 1968/konkrete utopien in kunst und gesellschaft"

„um 1968 / konkrete utopien in kunst und gesellschaft“ heißt eine derzeitige Ausstellung in Düsseldorf. Bereits der Titel läßt vermuten, daß man sich nicht so recht fassen konnte: „um 68“ oder nicht eigentlich doch danach? „in kunst und gesellschaft“ oder vielleicht doch in Kunst gegen die Gesellschaft? Gab es überhaupt „die Kunst um 68“?

Nein, es gab sie nicht. Aber deshalb hätte die Ausstellung nicht mißlingen müssen. Gescheitert ist sie an der Unentschiedenheit ihrer Veranstalter. Entweder waren sie der Ansicht, es hätte eine künstlerische Avantgarde damals tatsächlich gegeben - also die umgesetzte Forderung einer Einheit von Kunst und Leben, eine eingelöste Wahrhaftigkeit, wie Dada sie noch beanspruchen konnte. Oder sie wollten vermitteln, daß divergierende politische Ansätze - von Agitprop über Organisationssucht bis hin zu befreiender Anarchie - zu einer identifizierbaren ästhetischen Sprache führten. Oder sie wollten eine Epoche in ihrer Widersprüchlichkeit so dicht präsentieren, daß man, wie nach manchen Filmen, ein französisches Wort zitiert: „Atmosphäre! Ich hab die Fresse voller Atmosphäre!“

Nichts von alledem ist es geworden. Auch ein guter Katalog kann auf eine diffuse, hoffende Frage keine klare, kluge Antwort geben. Darin heißt es, die versammelten Kunstwerke und Dokumente, „die zwar in etwa zur gleichen Zeit, aber an verschiedenen Orten und immer unter anderen subjektiven und objektiven Bedingungen entstanden sind, haben immer eines gemeinsam, nämlich, daß sie geschaffen wurden, um die Wirklichkeit zu verändern“. Dies ist die Wahrheit der Tautologie, denn die Schwierigkeiten beginnen erst bei der Definition. Wenn Künstler die Wirklichkeit nicht kritisieren, sondern ihr eine zweite, konkurrierende gegenüberstellen, beharren sie auf der Autonomie der Kunst und tragen vielleicht ebensosehr dazu bei, die Wirklichkeit zu verändern, wie jene, die sich plakativer, dezidiert nicht eigenständiger Ausdrucksformen bedienen, um die Differenz zwischen Kunst und Wirklichkeit zu verflüssigen. Die hilflose Versammlung künstlerischer Werke, die sich in Intention, Wirkung und Mittel radikal unterscheiden, ist nicht einmal mehr gemeinnützig. In diesem Falle: keine Entlastung des Vorstands.

Der hier gezeigte „Spitzenvorhang für Bürgermeister Daley“ ist ein Exponat der Ausstellung. Barnett Newman schuf ihn nach dem Polizeieinsatz gegen Demonstranten beim Parteitag der Demokraten 1968 in Chicago.

(Noch bis 8. Juli, Städtische Kunsthalle Düsseldorf. Werke von Arman, Beuys, Cage, Diehl, Duchamp, Hacke, Immendorf, Lichtenstein, Merz, Polke, Rainer, Reinhardt, Rosenbach, Rot, Schneemann, Sorge, Spero, Staeck, Thomkins, Vostell, Walther, Warhol, Zimmer und anderen. Die Ausstellung ist von September bis November 1990 im Zürcher Museum für Gestaltung zu sehen.)