: Börse boomt am Tag eins der Währungsunion
■ Berliner Börsianer hoffen auf Berlin als ersten Finanzplatz
West-Berlin. Wenn gebrüllt wird, ist bei dieser Familie alles in Ordnung. Je mehr man sich anschreit, um so prächtiger steht's um den Haussegen. Sie ist schon etwas Besonderes, die Börsenfamilie. Heute war es zeitweilig besonders laut in der sonst eher langweiligen Berliner Börse, und das Ergebnis prangte um 13 Uhr 30 gelb auf schwarz über dem Parkett: Um fast 34 Punkte war der Deutsche Aktienindex (DAX) auf 1917 Punkte gestiegen. Ein stolzes Ergebnis am Tag eins der Währungsunion, mit dem noch vor wenigen Wochen kaum jemand gerechnet hätte. Die Sorge vor steigenden Zinsen und Inflationsraten ist in den letzten Wochen zunehmend verflogen.
An dem heutigen positiven Ausschlag sind die DDR -BürgerInnen schuld, denn ihr gestriges moderates Umtauschverhalten - insgesamt wurden nur etwa drei Milliarden Hartmark verlangt - hat die Zweifler unter den Anlegern beruhigt: keine Panik im Osten. „Das wären ja keine richtigen Deutschen, hätten die anders reagiert“, war heute auf dem Parkett zu hören. Eigentlich hatten die Börsianer geglaubt, die Währungsunion sei schon „abgegessen“, da der Markt immer postwendend auf politische Ankündigungen reagiert. Doch „das Umfeld stimmt“, und so waren es heute wieder besonders die „Vereinigungsgewinnler“, deutsche Standardwerte wie VW, Siemens, Allianz und Deutsche Bank, die jeweils um die 20 DM zulegen konnten. Allianz und Deutsche Bank, die jeweils größten ihres Fachs, profitieren gegenwärtig von ihren gerade abgeschlossenen DDR-Geschäften, die sie noch ein bißchen größer und für Anleger lukrativer machen. Speziell die Allianz, die sich den gesamten DDR -Versicherungsmarkt unter den Nagel gerissen hat, konnte in der letzten Wochen ihren Kurs um fast 300 DM auf schwindelerregende 2.800 DM pro Aktie steigern.
„Das ist natürlich nichts mehr für Kleinanleger, auch potentielle DDR-Interessenten können da wohl nicht mithalten“, meint Angela Imlau von der Berliner Volksbank. Aber grundsätzlich seien schon eine ganze Menge DDR-Bürger interessiert, an die Börse zu gehen. Doch sind es nicht nur neue private Anleger, mit denen man in Berlin zu rechnen beginnt. Wilfried G. Hübscher, der Erste Geschäftsführer der Berliner Börse, erwartet auch schon bald die ersten Firmen aus der DDR, die auf den Aktienmarkt drängen. Aber zunächst werden wohl noch Ausländer die Berliner Börse expandieren lassen. Schon seit der Maueröffnung konnten sechs Neuzugänge verzeichnet werden, damit hat Berlin nun 56 Börsenmitglieder. Darunter neuerdings auch das größte Investmenthaus der Welt, die japanische „Nomura“. Und die wird nicht lange allein bleiben, denn die Japaner favorisieren Berlin als deutschen Finanzplatz der Zukunft. In einer Umfrage glaubten kürzlich mehr als 40 Prozent japanischer Unternehmer, Berlin - und nicht Frankfurt werde das zukünftige Finanzzentrum des wiedervereinigten Deutschlands sein. Grund genug schon jetzt für Sticheleien aus beiden Städten. Aus Frankfurt werden immer wieder Leipzig und Dresden als Börsenplätze ins Gespräch gebracht. „Ganz gezielt“, glaubt Wilfried Hübscher, „werden solche Vorschläge lanciert. Die Frankfurter haben Angst um ihre Stellung.“ Der Berliner Börsenchef aber will alles für Berlin: Hauptstadt, kulturelles Zentrum, erster Finanzplatz
-so richtig Metropole eben.
Jan Lerch
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