Die Ex-Exklave hat keine Exklusivität mehr

■ Die Steinstückener sind jetzt von den Babelsbergern umzingelt - und in Potsdam fallen die Entscheidungen für die Zukunft

Zehlendorf. In Steinstücken, West-Berlins exotischster, weil abgeschiedenster Ex-Exklave, ist nichts mehr beim alten. Keine Mauer mehr, das Idyll ist futsch, West-Planierraupen und Ost-LKWs sind durchs Gelände gepflügt, um die alte Steinstraße, die den Zehlendorfer Ableger Steinstücken einst mit Potsdam-Babelsberg verband, befahrbar zu machen.

Und plötzlich liegt nun Zehlendorf-Steinstücken wieder mitten in Potsdam-Babelsberg, und der ehemalige Todesstreifen wird von Mountainbikern und gassiführenden Herrchen und Frauchen noch zaghaft neu belebt. In der Dorfgaststätte „Zum Taubenschlag“ (Spezialität: Bratkartoffeln mit Sülze) finden jetzt vorsichtige Annäherungsversuche zwischen neuen und alten Nachbarn statt. Aber insgesamt gingen die Potsdamer und die 200 Ex -Exklavenbewohner noch eher stur miteinander um, erzählt die Wirtin. Nachbar Rettig schätzt sogar, daß etwa ein Viertel der Steinstückener sich lieber wieder eingemauert sähe.

Nicht so das Ehepaar aus dem benachbarten Griebnitzsee, das den Zugang zum Zehlendorfer Rentnerehepaar am Nebentisch über Pudel Susi gefunden hat. Man einigt sich darauf, daß Schmackos und Pal, die man ja fast schon in allen Potsdamer HO-Läden bekommt, wesentlich teurer, doch gesünder und aufbauender für die vierbeinigen Lieblinge seien als selbstgekochter Pansen.

Eine merkwürdige Ruhe strahlen die Feierabendspaziergänger an der Ex-Grenze aus. Viel geredet wird nicht. Die meisten stehen nur da, an ihr Fahrrad gelehnt, und versuchen, sich an die neue Perspektive zu gewöhnen. Einer ist Herbert (64), der nur zwei Häuser entfernt wohnt, auf Babelsberger Seite. Er streicht sich übers sorgfältig pomadisierte Haar und schüttelt den Kopf. „Was das gekostet hat, das aufzubauen, und was das kostet, das jetzt wieder abzureißen...“ Kontakt zu den neuen Nachbarn hat er eigentlich keinen: „Die haben doch jetzt genug Trubel am Hals“, entschuldigt er sich - und sie.

Der Zehlendorfer Stadtrat für Umwelt und Gesundheit, Klaus -Uwe Benneter, selbst Bewohner Steinstückens, sieht der neuen Lage gelassen ins Auge. „Naja, die Exklusivität ist hin“, sagt er, auf die Dauer würden sich wohl auch die uneinsichtigen Steinstückener mit der neuen Situation anfreunden. Momentan ist ein provisorischer Regionalausschuß dabei, ein Konzept zur Gestaltung des ehemaligen Todesstreifens zu erarbeiten. Zwar beraten Zehlendorfer, Spandauer, Steglitzer und Potsdamer Umweltschutzstadträte gemeinsam, das Sagen im Fall Steinstückens hat aber letztendlich Potsdam.

Probleme zeichnen sich bereits ab, da man in Potsdam Industrieansiedlungen in der Umgebung Steinstückens in Betracht zieht, während man vor Ort am liebsten den ursprünglichen Zustand von ganz früher wiederherstellen möchte: weitgehende Wiederaufforstung des Todesstreifens.

Absolute Priorität genießt aber erst einmal der Ausbau der nötigen Verkehrsverbindungen, um dem anschwellenden Strom von Potsdamern „auf Transit“ über Steinstücken und Wannsee nach Ost-Berlin gerecht zu werden. Und, auf der anderen Seite, um wieder ein Gefühl dafür zu entwickeln, daß Steinstücken faktisch immer viel stärker gen Potsdam orientiert war als nach Wannsee.

„Jaja, die Ruhe ist wohl hin“, seufzt eine junge Mutter, die in ihrem Vorgarten arbeitet. „Aber lieber wieder normale Verhältnisse als die Wochenendinvasion von Wessi-Touristen!“ Denn für die war beim Besuch in der Mauerstadt eine Exkursion in die exklusive Exklave nebst Verzehr von Bratkartoffeln mit Sülze im „Taubenschlag“ jahrelang ein Muß.

Barbara Wollborn