: „Die dreht ja wie ein Mann!“
■ In Frankreich erobern immer mehr Frauen die klassische Männerdomäne des „grand reporteur“ / TV-Journalistinnenalltag zwischen Kriegsfront und Kinderkrippe
Aus Paris Cornelia Theune
Aus China zurück in ihr Pariser Chinesenviertel, dem 13. Arrondissement. Das kabellose Telefon zwischen Kinn und Schulter geklemmt, durchläuft Dann Lustallot die drei Zimmer ihrer spärlich-nüchtern möblierten Wohnung. Ihre Stippvisiten zu Hause sind zu kurz, um Spuren zu hinterlassen. Immer wieder von dem Piepton des Telefons unterbrochen, redet sie sich die Eindrücke ihrer „schwierigsten Reportage in 13 Karrierejahren“ von der Seele.
Mit einer unscheinbaren Amateurkamera ausgerüstet war sie Anfang April in die Provinz Xinjiang gereist, 3.000 Kilometer von Peking entfernt. Für das französische Menschenrechts-Fernsehmagazin resistances wollte sie dabeisein, als der Aufstand der türkisch-moslemischen Minderheit niedergeschlagen wurde. Obwohl sie vor Ort mehr als fünfzehn Kassetten gedreht hat, ist ihre Reportage nie ausgestrahlt worden. Statt dessen zeugen blutunterlaufene Flecken auf ihrem Rücken von dem gewaltsamen Ende ihrer Arbeit. Eine spektakuläre Festnahme, nächtliche Verhöre und
-besonders schlimm für Dann: Beschlagnahme von Kassetten und Kamera. „Wie eine Hexe“ wurde sie in einem öffentlichen Schauprozeß vor laufende Kameras gezerrt. Dank des Presseausweises lautete das Urteil nur auf „Landesausweisung“. Die Kamera erhielt sie zurück - so konnte sie sogleich ins nächste Krisengebiet aufbrechen, die äußere Mongolei.
Krisentauglichkeit zeugt vom Format des „grand reporteur“ (einen Begriff, für den das Französische noch keine weibliche Form gefunden hat). Der Reportagejournalismus hat in Frankreich Tradition. Die größten Fotoagenturen der Welt
-'gamma‘, 'sygma‘, 'magnum‘ - haben ihren Sitz in Paris. Im Fernsehen wurde das Genre in den letzten Jahren eher als Risikofaktor für die Einschaltquoten gehandelt. Inzwischen gilt es wieder als Visitenkarte für ein auf Qualität bedachtes Programm. Jeder Sender, der etwas auf sich hält, investiert in aufwendige Nachrichtenmagazine. Reportages im Ersten, Envoye Special im Zweiten, Reporteurs im Fünften... In dieses von Männer bevölkerte Reservat drängen in letzter Zeit immer mehr Frauen. Die Stars bilden die Vorhut: Christine Ockrent und Anne Sinclair. Um dem Publikum eine Frau als Vermittler des Weltgeschehens zumuten zu können, wurden die beiden Journalistinnen gleich in den Rang von Nachrichtengöttinen erhoben. Die überzogene Mediatisierung der einen nutzte allerdings den anderen: Wenn heute irgendwo in der Welt ein Regime stürzt oder eine Mauer fällt, ist es immer öfter eine Frau, die berichtet.
Frauen sind besonders krisentauglich
Die Startchance gab - merci, Monsieur - ein Mann. Jean -Pierre Elkabbach, 1981 Auslandschef bei Antenne 2, stellte von einem Tag auf den anderen „einen ganzen Schwung Frauen“ ein. Gern ließ er sich mit seinem „Harem“ ablichten, doch war er - da sind sich die damals ausgewählten heute einig fest überzeugt von der besonderen Belastbarkeit der Journalistinnen im Auslandsgeschäft. Die männlichen Kollegen waren da durchaus anderer Meinung und wehrten sich geschlossen gegen die Invasion aus den Kultur- und Sozialredaktionen. „Ihre Einschüchterungsversuche ließen mir Flügel wachsen“, erinnert sich Patricia Coste. „Mir war klar, daß es nur ein Mittel gab, um mir Respekt zu verschaffen: Ich mußte mir irgendwo einen Krieg suchen...“ Und schon fand sie sich in erster Schußlinie im Libanon wieder. „Manchmal, wenn's allzu schlimm wurde, habe ich mich gefragt: Warum bist du nur nicht zu Haus und machst 'n Kind?“
Zum Kinderkriegen blieb keine Muße. Schnell avancierte sie zur Iran-Spezialistin ihres Senders. In einem der frauenfeindlichsten Länder der Erde drehte sie mehr als 200 Reportagen. Noch eine Flucht nach vorn? „Nein, nur eine gezielte Taktik. Gerade als Frau hatte ich im Iran einen Vorteil. Ich konnte den 'Überraschungseffekt‘ ausnutzen, der mein Auftauchen jedesmal auslöste. Ich habe mir Dinge erlaubt, die bei keinem Mann toleriert worden wären.“
Ist dieser Job überhaupt mit der Mutterrolle vereinbar? Noch bevor Patricia Coste antworten kann, kommt die Antwort vom Nachbarschreibtisch ihrer Kollegin Martine Laroche -Joubert. Die Heftigkeit ihrer Reaktion zeugt von einer jahrelang gelittenen und selten geteilten Benachteiligung. „Für mich ist es völlig unwesentlich, ob dieser Job von einem Mann oder einer Frau gemacht wird. Der Unterschied beginnt erst, wenn die Reporterin Kinder hat.“ Martine ist alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen, acht und 20 Jahre alt. Seit 1981 arbeitet sie als „grand reporteur“ in der Auslandsredaktion von Antenne 2. „Ich bin neidisch auf Kollegen, die völlig sorglos auf Reportage fahren können“, gibt sie zu. „Wenn man mir von einem Auslandsauftrag erzählt, setzen sofort völlig unprofessionelle Überlegungen ein: die Einkäufe, die Schule, die Geburtstagsvorbereitungen usw.“ Für die Rundumbetreuung von Kindern und Haushalt beschäftigt Martine eine Hausangestellte. 7.000 Francs kostet sie das, die Hälfte ihres Gehalts. Erst die Unterhaltszahlungen ihres geschiedenen Mannes machen die kostspielige Organisation möglich.
Jonglieren zwischen Mutterrolle und Reporterdasein
Nur das schlechte Gewissen, welches sie manchmal überfällt, läßt sich nicht materiell lösen. Selten akzeptiert sie zwei längere Missionen hintereinander. Nach jeder Abwesenheit versucht sie, sich mehr Zeit für die Kinder zu nehmen. „Jonglieren“ nennt sie das.
Dann Loustallot hat nie jonglieren müssen. Den Verzicht auf ein Kind hat sie nie als Opfer empfunden, nur als Entscheidung für einen anderen Weg. 1980 bewarb sie sich als erste Frau beim französischen Fernsehen um einen Job als Kameramann. Nach ihrem ersten Drehtag scharten sich die Kollegen um den Schneidetisch: „Mal sehen, was das Mädchen zustande gebracht hat.“ Ihr Urteil: „Die dreht ja wie ein Mann!“ - „Für mich war das damals das schönste Kompliment“, ärgert sich Dann heute.
Nachdem sie jahrelang Kinderkrippen, Staatsbegräbnisse und Theaterpremieren filmen mußte, hat sie es nunmehr zum „journaliste reporteur d'images“ (JRI) gebracht. Der JRI ist eine Art Super-Journalist, der in einer Person den Redakteur, Kameramann, Beleuchter und Toningenieur vereinigt und in den französischen Redaktionen sehr „en vogue“ ist. Diese Konzentration von klassischen Männerberufen machen den JRI schwerlich zu einem Frauenberuf. Dennoch lassen sich zunehmend Frauen zur filmenden Reporterin ausbilden. Unter den dreißig JRIs, die die bekannteste Journalistenschule, das Centre de formation des journalistes in Paris seit 1984 entließ, befanden sich sechs Frauen. Ausbildungsleiter Pierre Muller gibt zu, daß körperliche Kriterien für die Auswahl der Kandidatinnen „zumindest untergründig eine Rolle spielen“. Immerhin gilt es, mit den zwölf Kilo der „Betacam“, der legendären Reporterkamera, zu leben. Beleuchtungskoffer, Stativ, Kabel und Kassetten kommen noch „erschwerend“ hinzu. Das Gewichtsproblem macht auch vielen männlichen Kollegen zu schaffen.
Dann Loustallot stärkt ihren Rücken täglich mit einer Stunde Gymnastik. „Dieser Job erfordert eine erstklassige Körperkonstitution“, sagt sie, „zumal wir die meiste Zeit ganz alleine arbeiten. Aber das ist der Preis für die Unabhängigkeit, die uns die Betacam heutzutage ermöglicht.“ Verglichen mit der herkömmlichen Filmtechnik ist die tragbare Betacam-Kamera das ideale Instrument des Reportagejournalismus: leicht, robust, funktionell. Die neuerliche Resonanz, die die Reportage als ästhetisches Genre erfährt, ist eng mit dieser technologischen Errungenschaft verbunden. „Für mich bedeutet diese Kamera eine ganz neue Art des kreativen Arbeitens“, erklärt Dann. „Ich habe die Realisierung des Films von A bis Z in der Hand.“ Natürlich hat die Betacam die klassischen Filmteams gesprengt und viele Techniker überflüssig gemacht. Für die Kamerafrau sieht Dann darin auch Vorteile: „Ich brauche mich nicht mehr mit einem zweifelnden und nörgelnden Männerteam zu belasten. Gerade in schwierigen Situationen ist Mobilität und Konzentration auf das Wesentliche gefragt. Undenkbar, bei der Renamo in Mosambik mit einem fünfköpfigen Filmteam aufzutauchen.“
Ungeschminkt von der großen Geschichte berichten
Kriege, Krisen, Spannungen... Verändert sich ihre Widergabe unter dem Blick einer Frau? Übereinstimmend meinen die Befragten, „empfänglicher für die kleinen Schicksale dieser Welt“ zu sein. Keine glaubt, mit dem „regard feminin“ behaftet zu sein. Die Sensibilität ist für sie eine Frage der Professionalität. „Ob Mann oder Frau: wenn man die nicht hat, ist man in meinen Augen auch kein guter Journalist!“, meint Patricia Coste. Frauen hält sie „wie geschaffen“ für diesen Job. Sie meint es so, wie sie es sagt. „Sie reagieren in Krisensituationen verantwortungsbewußter als die Männer, die vielleicht risikofreudiger, aber auch leichtsinniger sind.“ Die Verantwortlichkeit erstreckt sich auf das Team. „Ich denke grundsätzlich für den Kameramann mit, der viele Gefahren ja nicht wahrnimmt, weil sein Blickfeld begrenzt ist.“ Der Fernsehjournalismus zwingt, so nah wie möglich an ein Ereignis heranzugehen. Eine Bildinformation muß man sich selber holen, sie kann nirgendwo „abgeschrieben“ werden. Das erfordert eine ständige Selbstüberwindung.
Sechs Jahre Krieg und Krisen hat Patricia mitmachen müssen. Das war der Preis für die Anerkennung, die sie heute genießt. „Das Vertrauen in meine Themen und ihre Behandlung ist gewachsen.“ Nachdem sie jahrelang die großen Geschichtsabläufe verfolgt hat, will sie sich künftig mehr den „kleinen Geschichten“ widmen. Weihnachten stand sie in Rumänien vor den Kameras. Blaß, ungeschminkt, mit zerzaustem Haar („Ich hätte mich schnell noch kämmen können, doch fand das - im allgemeinen Chaos - völlig unpassend.“) berichtete sie von der großen Geschichte der rumänischen Revolution. Schnell wandte sie sich von den Straßenkämpfen ab und begab sich in die Randzonen des Ereignisses. In einem Krankenhaus feierten die rumänischen Frauen ihren Sieg: Abtreibungen im Krankenhaus statt auf dem Küchentisch. Die Methoden wirkten noch genauso barbarisch wie zuvor. Blutige Bilder einer neuen Zuversicht. „Sechsmal hätte sie einen Abort selbst herbeigeführt“, berichtet eine Frau. „Ist das wirklich wahr?“ fragt Patricia ungläubig. Die Bewegtheit in ihrer Stimme läßt ahnen, mit wieviel Mühe sie Distanz zu dem Gehörten hält. „Ich steige zu tief in meine Themen ein und komme genauso schwer wieder heraus.“ Sie hält das für eine weibliche Eigenschaft. Sie verschweigt, ob sie das als Vorteil oder als Schwäche empfindet. Entscheidend erscheint ihr, daß sie heute „schwach sein kann, ohne verletzbar zu sein“.
In Zukunft mehr
in die Tiefe arbeiten
Offenbar hat jede Journalistin im Laufe ihrer Karriere einmal darüber nachgedacht, mittels welcher Strategie sie in den Club der „grand reporteur“ Aufnahme finden könne. Florence David, 39, einzige Frau in der Auslandsredaktion von La Cinq, hatte sich entschieden, ihre männlichen Kollegen in einem historisch wichtigen Moment „auszutricksen“. Aufmerksam hatte sie die Anfänge des Pekinger Frühlings verfolgt und sich frühzeitig ein Visum für China besorgt. Als die Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens auffuhren, war Florence längst vor Ort. Als einziger französischer Sender konnte sich La Cinq allabendlich mit einer Direktschaltung aus Peking brüsten. „Ich hatte dem Kameramann eingebläut, daß wir so lange wie möglich an den Ereignissen dranzubleiben versuchen und nicht eine Ausweisung zu riskieren durch spektakuläre Kameraeinstellungen, wie es viele männliche Kollegen oft tun - zur Imagepflege.“ Auf keinen Fall möchte sie alt werden wie viele ihrer Kollegen, „die nur noch über die immergleichen Erzählungen vergangener Abenteuer existieren“. Die Frage des Älterwerdens in diesem Beruf berührt sie alle. Sie sind über vierzig und spüren zum ersten Mal die Kraftanstrengung, die ihnen dieser Job abverlangt. Sie wollen seßhafter werden - und wissen nicht, wie zur Ruhe kommen.
„Vielleicht werde ich in Zukunft mehr in die Tiefe arbeiten, Dokumentarfilme oder so“, sinniert Martine Laroche -Joubert. Patricia Coste möchte „etwas weitergeben, vermitteln“. Nur Dann Lastoullot hofft auf eine „bessere Zukunft“. Die erwartet sie von der Technik, von einer „erträglicheren“, leichteren Kamera. Sie ist bereit, auch mit fünfzig ihre Kamera noch durch das Dickicht des Weltgeschehens zu schleppen. „Nachdem man uns jahrelang erzählt hat, daß das kein Beruf für eine Frau sei, kann man mir jetzt nicht weismachen, daß ich dafür zu alt bin.“
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