Bildschöner Zaster! Grmpf! Banausen!

 ■ „Mit Pikasso macht man Kasso“: Eine Zürcher Ausstellung

über Kunst & Comics

Von Martin Halter

Ein Pfuscher sind Sie! Ein Schmierfink, ein Stümper, ein Hudler!“ Die Kunstfreunde auf dem Papier empören sich würg! - mächtig, wenn ihnen ein Maler Klecksel, ein Hungerkünstler zweifellos, seinen Sonntagsbraten in Öl und Essig oder, avantgardistischer, sein Werk Black cat in a dark room eating licorice while watching panther cha-cha andrehen will. Donald Duck, Hobbymaler schmackhaften Obstes, ist zwischen Kunst und Leben hin- und hergerissen: „Es gäbe ein herrliches Stilleben. Aber wenn ich's esse, kann ich's nicht mehr malen.“ Grübel! Graf Bullerbock, der betuchte Sammler, streichelt liebevoll über seinen Guido Gorgonzola (1792 bis 1793) und den raren Pablo Picassino. Der Kunstkritiker Dieter D. Dilettant vom Fachblatt 'Hinter der Avantgarde‘ stellt derweil Jean Bordil, den berühmten Destruktionskünstler, in Aktion vor: „Ich zerstöre, also bin ich. Das ist natürlich stark vereinfacht.“ Zack Bumm! Lupo, ein kluges Wort von Gevatter Fax („Kunst kann's schließlich nur sein, wenn man sich was traut“) im Ohr, vervollkommnet, mit beiden Beinen auf die Tube drückend, Pollocks „Hopstechnik“: „Selbst ist der Künstler.“

Die Ausstellung Mit Pikasso macht man Kasso im Zürcher Museum für Gestaltung, aus der diese Bilder und Sprechblasen stammen, ist gewiß nicht die erste Comic-Schau. Längst haben sich nämlich die lange verfemten Strips zu einer offiziellen Kunstgattung gemausert, die bereits die Institutionen, Protagonisten und Rituale des Kunstbetriebs kopiert: professorale Exegeten und fanatische Sammler, Fachzeitschriften und Galerien. Die „neuvieme art“ hat im vergangenen Herbst mit dem Brüsseler Comic-Museum ein repräsentatives Jugendstildomizil gefunden; auf Kunstauktionen werden für die Originalpanels von Klassikern wie Herge oder Walt Disney dagobertsche Summen hingeblättert.

Der Bauhäusler Lyonel Feininger ist in einschlägigen Kreisen vor allem als Erfinder und Zeichner der „Kin-der Kids“ und „Wee Willie Winkie's World“ bekannt. Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg und Andy Warhol entdeckten in den sechziger Jahren, als der Mythos von Trivialität & Banalität noch funktionierte, Comics für die Kunst. Dali rühmte sie als Kunst des Jahres 3794, und sogar Picasso, ein erklärter Fan der „Katzenjammer-Kids“, bedauerte im Alter, daß er nie Comics gezeichnet habe. Daß Comics Kunst sind, bezweifelt also kaum jemand mehr. Eher schon bestreiten die Strichmännchen, das Kunstmachen eine Kunst sei. Die Zerstörungsorgie im Kunstmuseum, die der „Joker“ Jack Nicholson im Batman-Film feierte, brachte den kulturrevolutionären Ikonoklasmus des Comis vielleicht zum letzten Mal auf den Begriff.

Die aus zwei Privatsammlungen (mehr nach kunstsoziologischen als nach ästhetischen Gesichtspunkten) zusammengestellte Zürcher Ausstellung - „eine Liebeserklärung an die Comics und eine Hommage an die Kunst“ (Martin Heller) - geht jetzt jedenfalls zum ersten Mal dem delikaten Verhältnis von trivialen Bildergeschichten und hoher Kunst nach. Es ist dies eine von Arroganz und frecher Ironie, von berechtigter Kritik und reaktionären Ressentiments verstellte Beziehung, die längst nicht mehr einseitig ist. Lange genug hat ja, wie die Motivzitate und Stiltravestien belegen, ausgerechnet der Comic - der kleine Bruder, der die kanonisierte Ästhetik pubertär anpöbelte und doch einmal so groß wie sie werden wollte - die hohe Kunst des SchönenWahrenGuten in legitimatorischer und ihre modernen Afterbilder in denunziatorischer Absicht zitiert. Da werden die Klassiker - Leonardo da Vinci und Piranesi, van Gogh und, ganz raffiniert, Lichtenstein - zitiert; Botticellis Venus wird als Tintin schaumgeboren, Böcklins Symbolismus befruchtet die Kunst des Horror-Comics. Henry Moores Plastiken erscheinen dem gesunden Volksempfinden der anthropomorphen Tiere als Knochenskulptur, und dem deutschen Goofy Lupo gar als Emmentaler „eat„-Art: Käse für Blinde, Quark auf Leinwand, bestenfalls „bildschöner Zaster“.

Im Museum für Gestaltung haben nun aber zum ersten Mal (Schweizer) Künstler zurückgeschlagen und die abstrakten Kunstwerke, die der Comic auf dem Papier so gern der Lächerlichkeit preisgibt, dreidimensional und farbig nachgeschaffen (und zum Verkauf angeboten). Eric Hattan aus Basel etwa goß den Zweikampf der Gorillas (Wups und Waldi, 1966) in Pappmache; Beat Ramsmeier rekonstruierte die mobile Plastik Das Firmament, jenes Kunstwerk mit authentischem Schockcharakter, aus dessen Mitte - „Peng! Auaa!“ - dem kunstsinnigen Lupo anno 65 eine mechanische Faust in die Schnauze („Fürchte, hier braucht man eine ganz neue Art von Kunstverständnis“) sprang. Die Realisation des Comic-Boxhiebs ist auch eine Rache der echten Kunst an der falschen - und des Lebens an der Kunst; mithin jene Kunstkritik der Tat, wie sie der Comic so liebt.

Ähnlich wie Lupo haben nämlich die Comics, zumindest die ältere, kommerziell orientierte „Massenzeichenware“ a la Fix & Foxi und Donald Duck, ein Kunstverständnis befestigt, wie es konservativer nicht einmal in den seligen 'Bäckerblume' -Witzen vom objet trouve „Schirmständer im Museum für moderne Kunst“ sein konnte. Massenkultur im schlechtesten Sinne Adornos, knüpften sie dabei nicht nur an die populären Vorurteile der schweigenden Mehrheit gegen die Avantgarde an, sondern bestätigen auch alle Klischees, die seit dem 19. Jahrhundert über „den Künstler“ kolportiert werden. Entweder es ist ein schlampertes Boheme-Genie, ekstatisch im Malakt und schrecklich in seinem Schaffenstrieb, oder aber ein Hochstapler und Scharlatan, eitel und faul. Als Aktmaler kämpft er mit wenig Erfolg wider seine rohen Triebe; als wüster Kleckser, der Fische und Farben auf die Leinwand wirft und Schrott als kubistische Plastik recyclet, gegen seinen Gegenstand, die Natur. Das Publikum straft seine Anstrengung mit fröhlichem Desinteresse. „Grmpf! Banausen!“ schimpft Donald Duck. Oder: „Wenn ich nur schön malen kann, geht mich die ganze Welt nichts an.“

Kunst ist in der Populärästhetik des Comics meist nur, was sich dem Mann auf der Straße als Arbeit und gelungene Nachahmung der Wirklichkeit zu erkennen gibt. Alles andere sind die nutz- und sinnlosen Kritzeleien von Verrückten oder - und hier erinnert die Denunziationsstrategie schon ungut an die Nazi-Kampagne gegen die „Entarteten“ - das läppische Geschmier von Affen. Zu dieser reaktionären Haßliebe paßt dann auch, daß der Comic, die industriell reproduzierbare Zeichnung schlechthin, an der Aura des einmaligen Kunstwerks unbeirrbarer festhält als die betroffene Kunst selber. Kunst ist für den pragmatischen Verstand der Lupos Ablenkung, Anmaßung und Lüge: Nicht zufällig ist das Bild im Comic, brauchbar als Wurfgeschoß und Dekoration, auffällig oft Versteck für den Wandtresor oder die Hausbar. Die Ahnengalerie ist eine symbolische Drohgebärde und der Kunsttempel Museum ein günstiger Ort für konspirative Treffs.

Im Ressentiment des Comic-Künstlers gegen die moderne Kunst verbirgt sich freilich nicht nur eine devote Bewunderung der „klassischen“, der Kunst an sich. Gerade die jüngeren Zeichner, deren Comics einmal Gegenkultur meinten, stehen dem Kunstbetrieb inzwischen nahe genug, um seine Hierarchien, Liturgien und einschüchternden Rituale listig und durchaus selbstironisch karikieren zu können. Insofern scheint sich gerade in einer Zeit, da die Postmoderne alle Zeichen und Stile universell verfügbar und kopierbar macht, eine Annäherung zwischen E und U, Kunst und „trivialen“ Comics abzuzeichnen, die der zwischen Popmusik und Klassik kaum nachsteht. Während die Kunst seit Beuys und Warhol zum demokratischen Breitensport wird, bildet sich umgekehrt eine zunehmend professionelle, wo nicht gar „hohe“ Comic-Kunst heraus, die die traditionellen Produktions- und Vertriebstechniken der weiland jugendverderbenden „Schundheftchen“ (anonyme Schöpfer, Verzicht auf individuellen Stil und intellektuelle Codes, unlimitierte Auflage und Kioskverkauf) einem Markt opfert, auf dem signierte Drucke, Skulpturen und Originalvorlagen der Spitzenzeichner oder die Erstausgaben der Heftchen und Alben bereits lukrative Spekulationsobjekte geworden sind. Der ästhetische Idealismus ist jedenfalls nicht nur und nicht erst im Comic strip „des Wahnsinns fette Beute“ geworden, um im Jargon der Ausstellungsmacher zu bleiben: Die Differenz von Kunst und Leben wird spielerisch aufgehoben. Kunstkonsument comme il faut ist insofern der Enterich, der die autonome Kunst nicht an seinem interesselosen Wohlgefallen mißt, sondern sie, wie Lupo oder Dagobert Duck, auf ihren praktischen, kommerziellen oder auch kulinarischen Nutzen hin überprüft.

Die Ausstellung dauert noch bis zum 22. Juli. Der witzig geratene Katalog kostet 38 Franken, im Handel 58 Mark.