: Doch Sowjet-Giftgas in der DDR
■ UdSSR übte unter SED-Regime mit C-Waffen auf DDR-Boden / Teile der SED-Spitze eingeweiht Aussteiger brechen Schweigen / Sechs bis sieben C-Waffen-Lager vermutet / Gab es auch Giftgasfabrik in Dresden?
Von Joachim Weidemann
Berlin/Mainz (taz) - In der DDR lagern nach westlichen Angaben entgegen aller früheren SED-Dementis „große Mengen an sowjetischem Giftgas“. Wie jetzt erstmals eingeweihte SED -Aussteiger bestätigen, hielten sowjetische Truppen und die Nationale Volksarmee (NVA) mit den bislang verleugneten Chemiewaffen sogar „defensive C-Waffen-Einsatzübungungen“ auf DDR-Boden ab.
Von den sowjetischen Giftgas-Projekten wußte auch „ein Teil der SED-Führung“ Erich Honeckers. Jedoch wurden alle Eingeweihten aus SED und NVA intern zu Stillschweigen und Falschinformation verpflichtet. Dabei scheuten sie auch nicht davor zurück, ihre Gesprächspartner der SPD zu belügen. Alle bisherigen Giftgas-Dementis der ehemaligen SED -Führung müssen damit angezweifelt werden. Dies geht hervor aus taz-Recherchen bei Friedensforschern und Ministerien sowie aus Informationen des SPD-Bundestagsabgeordneten und Abrüstungsexperten Karsten Voigt, der vormals die gemeinsame SPD/SED-Arbeitsgruppe „Chemische Abrüstung“ leitete.
Voigt zufolge wurde die SPD 1985 bei den Verhandlungen über eine chemiewaffenfreie Zone in Mitteleuropa von der SED -Führung „wider besseren Wissens falsch informiert“. So logen einzelne SED-Unterhändler, in der DDR gebe es kein sowjetisches Giftgas, obwohl sie das Gegenteil wußten. Erst jetzt gestanden reuige Ex-SEDler zumindest gegenüber der SPD den Giftgas-Betrug ein. Fraglich werden damit auch die Dementis der ehemaligen politischen Führung zu einer getarnten Giftgasfabrik der UdSSR: Das VEB Arzneimittelwerk Dresden soll zumindest vor 1985 „zeitweilig“ auch chemische Kampfstoffe produziert haben. Dabei stand es unter sowjetischer Aufsicht.
Eine ähnlich unheilige Allianz zwische ziviler und militärischer Nutzung in der Chemieproduktion gibt es auch im VEB Düngemittelwerk Rostock, das neben Düngemitteln auch Sprengstoff herstellt.
„Gott sei Dank blieben wir bei den Verhandlungen damals vorsichtig“, meint Voigt, „und machten uns die SED -Argumentation nicht zu eigen“. Die SPD verlangte 1985 nach Verifikationen dafür, daß in der DDR kein Giftgas lagert. Vergeblich. Die Skepsis der Sozialdemokraten war dabei durchaus begründet. Westliche Experten nämlich, so Voigt, hatten „in einer sehr korrekten Analyse“ trotz der Verdunklungsversuche der SED erkannt: In einzelnen Depots waren „bauliche Vorkehrungen getroffen worden, die eine Lagerung von C-Waffen ermöglichen könnten“.
Die Sowjets hatten bisher Fragen nach ihrem Giftgas in der DDR abgeblockt oder dementiert. Ihr Giftgas, hieß es, lagere nur im eigenen Land. Die jetzige DDR-Regierung indes kann sich dazu kaum noch äußern. Inzwischen scheint vielmehr fraglich, ob DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann (DA) nach seinem Westdrall noch von DDR-Militärplänen des östlichen Ex-Bruders Moskau unterrichtet wird. Denn nach Informationen westlicher Friedensforscher kappen die Sowjets bereits jegliche informellen Verbindungen mit der NVA, auch bezüglich der C-Waffen. Im DDR-Mininisterium für Abrüstung und Verteidigung wurden die taz-Informationen gestern allerdings nicht mehr dementiert. Ein Vertrauter von Verteidigungsminister Eppelmann aus dem Ministerium gestand ein, daß die Sowjets Art und Zweck ihrer Depots gegenüber der jetzigen DDR-Führung geheimhalten. Eppelmann moniere diese Geheimniskrämerei der Sowjets auf DDR-Boden und dränge auf die Änderung des Stationierungsstatuts von 1957. Ferner soll sich eigens ein Regierungsbeauftragter mit diesen Fragen befassen. „Für die Sowjetmilitärs“, so der Eppelmann -Berater, „sind wir noch immer ein besetztes Land“. Die Geheimniskrämerei der „sowjetischen Westgruppe“ erstrecke sich „von militärisch verursachten Umweltschäden bis hin zur Zahl der stationierten Soldaten“ und betreffe demgemäß auch die Bestimmung der einzelnen DDR-Depots der UdSSR.
Die Sowjets hätten, so versicherte das mit dem US -Giftgasabzug befaßte Mainzer Innenministerium der taz, in der DDR „weitaus mehr C-Waffen stationiert als die USA in der Bundesrepublik“. Angaben von US-Geheimdiensten und amerikanischer Friedensforschern schwanken zwischen sechs und sieben C-Waffen-Lagern in der DDR.
Abzug und Vernichtung der sowjetischen C-Waffen bereitet Moskau allerdings arges Kopfzerbrechen. Nach taz -Informationen, die von der Bonner US-Botschaft bestätigt werden, bat Moskau Washington inoffiziell um Hilfe. Ein Beamter des US-Außenministeriums sagte nach einem Besuch des US-Außenministers Baker, die Sowjetunion habe „verschämt gestanden, daß ihr die Vernichtung der C-Waffen-Bestände technisch größte Schwierigkeiten bereite, daß sie vielleicht scheitere“. Laut US-Botschaft haben die USA auf den Hilferuf „noch nicht reagiert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen