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Ansichtssache Ansichtskarte

■ Gestern eröffnet: Eine Ansichtskarten-Ausstellung in der Landesbildstelle / „100 Jahre Gruß aus Bremen“

Ich bin Herrn Titius sehr zu Dank verpflichtet. Ohne Herrn Titius, sprich Tizius, wären die alten Bremer Ansichtskarten an den

Landesbildstellenwänden ansichtssachliche Viereckige geblieben. Mit Herrn Titius sind sie aus der Wand herausgekommen,

all die in die Geschichte zurückgetretenen klassizistischen Fassaden und wilhelminischen Denkmäler und leeren Straßen mit Pferden und Brücken vor Himmeln mit selbstgemalten Wölkchen anno Jahrhundertwende, die noch einmal in Positur gehen dürfen, weil Herr Heinz Thies, Bremer Volkswirtschaftslehrer, von seinen 20 000 Postkarten 220 bremische zur Verfügung gestellt hat. Die ältesten Karten stammen von der Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung in Bremen 1890.

Es scheint, als duckten sie sich weg, als machte sie soviel plötzliche Aufmerksamkeit verlegen - begraben wie sie sonst sind in den Postkartenalbensärgen von Sammlern, für die sie nichts können. Und wenden sich die flanierenden, spitzenweißen Hut-Frauen am Osterdeich nicht auch von uns ab, als könnten wir sie aus der Ruhe bringen? Aber Brust raus, Bauch rein, so schnell kommst du nicht mehr zu Ehren scheint sich Kaiser Wilhelm auf seinem Denkmal zu sagen. Er hat's nötig: Das Roß und sein Reiter sind wie fast alle anderen Denkmäler nach 1940 eingeschmolzen worden Bronzehaltigkeit! Die Chamois-Terrasse mit Sonnenschirmen ist das Tivoli-Cafe des Tivoli-Theaters, wo jetzt - wenn es einen Gott gibt, wird er es rächen - das UT-Kino-Center rumsteht und

das Gewerkschaftshaus.

Am Teichmannbrunnen endlich lerne ich Herrn Titius kennen. Der Teichmannbrunnen - ein wilhelminisches Meisterwerk mit Seemann, Wogen und Nixe, hier in mehreren Ansichts -Variationen vorhanden und prima Kitsch. „Können Sie denn lesen, was da vorne drauf steht?“, fragt mich leise der feine Herr Titius, nach eigenen Angaben 74/75, Be

sucher. Wieso lesen, wen interessieren alte Grüße? Da liest er schon: „Ein neues Karten exemplar / sendet dir ein glückliches Brautpaar / dann grüße auch recht fein / deine Lieben daheim.“ Das Denkmal kennt er noch: die Nixe will also den Seemann runterziehen aus seinem Boot, ja, jetzt seh‘ ich's auch, der Seemann will aber rudern, da ist auch noch ein Götterbote, meine

Güte, was da alles drauf ist. Fände er das gut, den Brunnen original wieder aufzubauen? „Neinnein, die Zeit ist weitergegangen“, sagt er, „obwohl“, und kniept mit den Augen, „ein bißchen Kitsch nicht schlecht ist“. Eigentlich ist er Ostpreuße, was viel schlimmer ist. Nein, er wird nicht hinfahren. Vor Fragmenten zu stehen! Wo er doch die Bilder im Kopf hat. clak

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