: Antideutsche Ausfälle eines Tory-Ministers
■ Nicholas Ridley entschuldigt sich (vergebens) Proteste in Straßburg und Bonn/ „Kohl mit Hitlerbärtchen“
London/Straßburg (ap/afp) - Die Stunden des britischen Handels- und Industrieministers Nicholas Ridley scheinen gezählt. Mit antideutschen und EG-kritischen Äußerungen löste er einen Sturm der Entrüstung aus. In der jüngsten Ausgabe der britischen Zeitschrift 'The Spectator‘ hatte Ridley gemeint, die Bundesrepublik versuche, mit ihrer Wirtschaftsmacht „ganz Europa zu übernehmen“. Wenn London der EG nationale Souveränitätsrechte übertrüge, wäre das „etwa so, als gäbe man sie Adolf Hitler“. Ridley selbst ließ unterdessen von seinem Londoner Ministerium eine Erklärung veröffentlichen, in der es hieß, er bedauere seine Äußerungen zutiefst. Er ziehe sie hiermit „uneingeschränkt zurück“.
In dem Interview des 'Spectator‘, dessen Titelseite eine Karikatur von Bundeskanzler Helmut Kohl mit Hitlerbärtchen zeigte, warf Ridley Bonn vor, ihr Eintreten für eine europäische Währungsunion sei ein Komplott mit dem Ziel, ganz Europa zu übernehmen. Dies müsse verhindert werden. „Diese übereilte Übernahme durch die Deutschen auf der schlechtestmöglichen Grundlage, wobei sich die Franzosen gegenüber den Deutschen wie Pudel verhalten, ist absolut unerträglich“, fügte er hinzu. Großbritannien spiele in Europa traditionsgemäß die Rolle des Machtgegengewichts, und es sei angesichts der deutschen Arroganz noch nie so wichtig gewesen wie heute. Zur EG selbst sagte der konservative Handels- und Industrieminister, wenn er so ihre Institutionen betrachte, überkomme ihn Entsetzen. Da gebe es die aus 17 „abgeschobenen Politikern ohne Wählerauftrag“ bestehende EG-Kommission, die niemandem Rechenschaft schuldig und nicht für das Steueraufkommen veranwortlich sei und nur Geld ausgebe. Sie wiederum werde von einem trägen Parlament hofiert, das ebenfalls nicht für die Erhebung von Steuern zuständig sei und sich überdies schon jetzt „atemberaubend arrogant“ verhalte.
Unterdessen mehren sich die Stimmen, die Ridleys Rücktritt fordern. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Straßburger Europaparlament, Jean-Pierre Cot, verlangte von London eine Klarstellung, ob die Anwürfe auch offizielle britische Regierungsmeinung seien. Cots Stellvertreterin, die Britin Glynn Ford, schloß sich dem an. Der EG-Kommissar für Regionalpolitik, der Schotte Bruce Millan, bezweifelte, daß jemand mit solchen Auffassungen Minister eines EG-Landes bleiben könne.
In Bonn reagierten zuallererst die Regierungsparteien. Lutz Stavenhagen, Staatsminister im Kanzleramt, meinte, der „beispiellose Vorgang“ diskreditiere die gesamte EG. Der FDP -Vorsitzende Lambsdorff zog den Schluß, Ridley müsse betrunken gewesen sein.
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