piwik no script img

Provinzposse vor Londoner Gericht

■ Nach 14 Jahren soll den Fluchthelfern des KGB-Doppelagenten Blake der Prozeß gemacht werden

Aus London Ralf Sotscheck

Das „Königlich-Bayerische Amtsgericht“ hätte vermutlich seine helle Freude an dem Prozeß gegen die beiden Fluchthelfer des KGB-Doppelagenten George Blake, Michael Randle (55) und Pat Pottle (51). Die Veteranen der Friedensbewegung stehen in London vor Gericht, weil sie Blake 1966 mit Hilfe des inzwischen verstorbenen Iren Sean Bourke zur Flucht aus dem Londoner Knast Wormwood Scrubs verholfen hatten. Danach schmuggelten sie ihn nach Ost -Berlin. Blake (67) lebt heute als Rentner in Moskau und schreibt seine Autobiographie.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er am holländischen Widerstand gegen die Nazis. Nach dem Krieg heuerte ihn der britische Geheimdienst MI6 an - und ebenso der KGB. Zu den wichtigsten Projekten gehörte damals der vom MI6 gemeinsam mit der CIA geplante Tunnel von West-Berlin unter die KGB-Zentrale im Osten. Blake leitete das Projekt und hielt den KGB darüber auf dem laufenden. Die Sowjets fütterten die westlichen Maulwürfe daher monatelang mit Falschinformationen.

Nach seiner Enttarnung 1960 wurde Blake zu einer bis dahin beispiellosen Haftstrafe von 42 Jahren verurteilt. Vier Jahre nach Blakes Flucht veröffentlichte der Ire Bourke ein Buch, in dem er die Identität der beiden anderen Fluchthelfer praktisch preisgab. Die Behörden unternahmen jedoch nichts. Schließlich hatten sie jahrelang Gerüchte lanciert, daß die Befreiung eine KGB-Aktion gewesen sei. Die Enthüllung, daß sie von Amateuren gefoppt worden waren, wäre höchst peinlich gewesen. Erst als Randle und Pottle im vergangenen Jahr ihre Darstellung der Ereignisse in Buchform veröffentlichten, mußte der Staat eingreifen. Eine Verjährung gibt es in Großbritannien nicht.

Die Verteidigung meint, daß eine Anklage ein „Mißbrauch des Rechtsweges“ wäre, weil die Justiz bereits seit 1970 Bescheid wußte. Richter McPhearson, Exkommandant der britischen Sondereinsatzgruppe SAS, entschied im April vor dem Old Bailey jedoch gegen sie - von den Zeugen der Verteidigung war kein einziger zugelassen. Der Londoner High Court verhandelte in den vergangenen drei Tagen nun über die Berufung gegen die Prozeßeröffnung. Zunächst mußte Richter Watkins jedoch in einem Präzedenzurteil darüber befinden, ob er zur Anhörung der Berufung überhaupt befugt sei. Davor drückte er sich jedoch am Donnerstag. Dessen ungeachtet eröffnete er am Nachmittag die Berufungsverhandlung - gegen die wütenden Proteste der verblüfften Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Nun verkam die Verhandlung endgültig zur Provinzposse. Watkins enthüllte nämlich seine Urlaubspläne, wegen derer er den Prozeß bis gestern mittag über die Bühne bringen wollte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen