Kein Anspruch für Zwangsarbeit

■ Das Münchner Landgericht wies die Musterklage einer früheren Siemens-Zwangsarbeiterin auf Entschädigung ab / Lapidar heißt es in der Begründung: „Verjährung“ / Klägerin legt Berufung ein

Von Luitgard Koch

München (taz) - Mit einem entäuschenden Urteil endete gestern der Musterprozeß der ehemaligen Zwangsarbeiterin Mathilde Blass gegen den Siemens-Konzern. Die inzwischen Siebzigjährige klagte Anfang April dieses Jahres vor dem Landgericht München I zum einen auf Nachzahlung des ihr vorenthaltenen Lohns, Schmerzensgeld wegen der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie auf Entschädigung wegen entgangener Rentenansprüche. Mathilde Blass war vom Dezember 1943 bis zum August 1944 im Frauenkonzentrationslager Ravensburg inhaftiert. Auf Anforderung der Firma Siemens mußte sie dort in einer eigens von der Firma errichteten Fertigungshalle Zwangsarbeit leisten.

„Die Klage wird abgewiesen“, verkündete Richter Thomma in schnarrendem Ton. Zivilrechtliche Ansprüche seien zum Zeitpunkt der Klageeinreichung bereits verjährt gewesen, auch wenn man von der üblichen Frist von 30 Jahren ausgehe, erklärte der Richter. „Eine Hemmung der Verjährung stand nicht entgegen“, betonte er weiter. Die Kosten muß die Klägerin tragen.

„Wir bekommen unser Recht nicht mehr“, befürchtete nun die 66jährige Renate Lutz. „Die Angestellten von Siemens waren oft schlimmer als die SS-Leute“, empörte sich die ehemalige Zwangsarbeiterin. Derzeit erhält sie monatlich 287 Mark Rente. Die Klägerin Blass war zur Urteilverkündung wegen ihres Gesundheitszustandes nicht gekommen. Ihr Anwalt Langgmann kündigte an, beim Oberlandesgericht Berufung einzulegen.

Daß sich der Richter auf die Verjährung berufe, stehe zwar im Einklang mit der Rechtssprechung, erklärte der Anwalt. Die Kläger hätten jedoch ganz neue Argumente vorgebracht, die im rechtlichen Sinn ein „Hemmnis“ darstellten. „Hemmnis“ heißt in diesem Fall, daß eine Verjährung überhaupt nicht einsetzt. Die Firmen verteidigten sich nämlich immer mit der Begründung, die Zwangsarbeit sei angeordnet und die Zwangsarbeiter seien ihnen zugewiesen worden. „Wir können jetzt nachweisen, daß die Firmen die Zwangsarbeiter selbst angefordert, sie ausgewählt haben und damit die Verantwortung für sie übernommen haben“, betonte Langgmann. Außerdem wurden auch die Unterkünfte für die Zwangsarbeiter von den Firmen gebaut. Diese Forschungsergebnisse konnten jedoch nicht früher vorgelegt werden, da die Firma bewußt die wesentlichen Archive geschlossen hielt.

Die Frage der Entschädigung von Zwangsarbeitern aus Polen wird auch bei den 4+2-Verhandlungen am 17.Juli in Paris eine Rolle spielen. Außerdem wollen SPD und Grüne Anfang September nochmals einen Antrag einbringen, um eine Bundesstiftung für Entschädigung einzurichten. Vom Innenausschuß wurde dieser Antrag bereits verworfen.