: Bremisches Fantömchen
■ „Chaos in Manaos“ im Modernes / Bremer Konkurrenz-Fantom-Musical hatte Premiere
Da wollten die Bremer den Hamburgern wieder mal richtig eins auswischen. Und die Idee war auch gut: während dort mit riesigem Aufwand das Monumentalmusical „Das Phantom der Oper“ in den Sand gesetzt wurde, setzten die Bremer Talente ihre Phantasie ein und bastelten mit wenig Geld ein Alternativmusical. Unser rührigster Literat Jürgen Alberts schrieb das Libretto, Michael Jaschke und Jan Christoph komponierten zehn Songs, und der Initiator des Bremer Sommertheaters, Frank Jungermann, inszenierte mit 14 Schauspielern, Sängern und Tänzern.
Das Ergebnis dieser kollektiven Anstrengung ist aber leider eher ernüchternd. Warum mußten sich die Bremer ausgerechnet an diesem Genre versuchen? Beim Musical stimmt entweder jeder Takt oder gar nichts, und
das Ensemble war angesichts der hier geforderten Präzision heillos überfordert. An allen Ecken und Enden merkte man, daß es am Handwerk mangelte; die Tänzer bewegten sich nicht synchron, Einsätze waren verschleppt, der Beleuchter ließ die Akteure immer wieder im Dustern stehen.
Der Regisseur hätte aus der Not eine Tugend machen können, wenn er das Ganze als Schmierenkomödie präsentiert hätte. Dann wäre jeder Patzer einen Lacher gewesen, im Idealfall hätte man inszeniertes und reales Chaos nicht mehr auseinanderhalten können. Aber die Bremer sind in die Falle ihres eigenen hohen Anspruchs getappt. Ihre Selbstüberschätzung rächt sich: Das Stück hat nicht mehr den sympathischen Charme einer Liebhaberaufführung und noch lange nicht den Standard einer professionellen
Musicalproduktion.Auch Jürgen Alberts hat sich beim Libretto zu sehr darauf verlassen, daß im Chaos „anything goes“.
Das Phantom aus dem Buch von Gaston Leroux treibt im Opernhaus von Manaos sein Unwesen, der Operndirektor ist durch Kautschuk reich geworden, ein Drogenhändler mit Guerillatruppe konspiriert gegen ihn, und die Operndiven werden in Szenen aus „Tosca“ oder „La Boheme“ gemeuchelt. Ein Hercule Poirot, der wie Sherlock Holmes aussieht, untersucht die Morde, und weil alles furchtbar kompliziert ist, muß ein Erzähler zwischendurch lange Erklärungen abgeben. Die verschiedenen Erzählstränge laufen nebeneinander her, und Alberts nimmt seine Geschichte nicht ernst genug, um wirklich witzig zu sein. Wenn alles beliebig ist, ist auch alles schnell langweilig, und natürlich kann man zu solch einer Geschichte keinen guten Schluß finden. So schießen am Ende alle wild in der Gegend herum, singen nochmal und verbeugen sich.
Bei einigen Einzelleistungen kann man von Herzen Beifall klatschen - Gottschalk Rumloff spielt zum Beispiel einen schön verschrobenen Poirot; aber der Versuch, ein Musical aus dem Bremer Boden zu stampfen, ist mißlungen. Auch wenn sie sich soviel Mühe gegeben haben. Wilfried Hippe
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