: Empfängnishilfe
■ Das Neueste von Rude Angels und das Erste von Louder Than God
BERLINER PLATTENTIPS
Achtung! Hier meldet sich die Rockabteilung. Kein, Pop, kein Sülz, nix für Mädels, keine Schwachheiten, hier kommen echte Männer mit harten Fäusten, dicken Schwänzen, dichten Drei -Tage-Bärten und Spatzenhirnen, oder was sollen uns solche Zeilen sagen: „Got no money, got no home / But I don't wanna be lonesome / So I get a grip on music / And I do what I do want to“.
Schlichte Gemüter, aber die Rude Angels sind cleverer, als es auf den ersten Blick scheinen mag, denn alles ist wieder nur Pose: „Got silly dreams and nasty habits“. Und musikalisch reiten die Rude Angels auf ihrer ersten LP „Where Rock Lives“ (Destiny, EFA) auf der einzig zeitgemäßen Welle, die für weiße Jungs Erfolg verspricht. Das ist Heavy Metal. Satte Riffs, für eine deutsche Band ansprechender Gesang zwischen Whiskey-und-Zigaretten-Geröchel und Kinderkiller-Timbre, aber ohne das obligatorische und penetrante Opern-Gequietsche.
Für richtigen Heavy Metal ist die Rhythmik zwar zu abwechslungsreich, aber bisher hat noch keiner bewiesen, daß Metal wirklich so stumpf sein muß, wie er meistens ist. Hier sind zwar alle Ingredienzien des schweren Gewerbes versammelt, und doch kommt etwas anderes, Besseres („Intelligenteres“ hinzuzufügen, sperrt sich mir doch einiges) heraus. Einziger Abstrich sind die leider fehlenden, eingängigen We-Rock-You-Refrains, zu denen man so wunderschön im 4/4-Takt die Faust schütteln kann. Also leichte Einbußen bei den Verkaufsaussichten, was den Rude Angels sicher nicht recht ist, denn sie wissen auch, was für einen riesigen Heavy-Metal-Markt es in Deutschland gibt.
Das allerdings wirklich Interessante an den Rude Angels sind die Texte. Hier offenbart sich wieder einmal auf das Eindrucksvollste die ganz normale Schizophrenie der weißen Rockmusik, die Zerrissenheit zwischen Kopf und Schwanz, die zu oft verwischte Differenz zwischen der Pose und den geheimen Phantasien ihrer Protagonisten. Denn eigentlich sind diese vier Jungs natürlich keine Proleten, sondern höchstwahrscheinlich wohlerzogene Bürgersöhnchen, die durch ein paar gute Oberschulen geschleust wurden, um sich schließlich von dort durch das Wachsen der Haare und den Genuß von zu viel Alkohol zu verabschieden. Genau die Spezies Heranwachsender, ohne die schon Punk vor 14 Jahren nicht denkbar gewesen wäre. Was da textlich herauskommt, ist bisweilen komisch, manchmal fast rührend, ja hin und wieder sogar versponnen und surreal, aber auf jeden Fall atypisch für Heavy Metal. In „Shoot Days“ zum Beispiel schwärmt Sänger Jani Engel von seiner Bettgeschichte mit den kurzen, fetten Beinen (auch nicht gerade passend zum drunterliegenden Gitarrengebrazze), um gegen Ende des Songs auf der Straße zu landen und dort einen Freund zu treffen: „The shittin‘ dogs, they make me sick / On the corner I met dick / He shoots the dogs, he does it good / Does everything a good boy should“. Allerdings ist „dick“ kleingeschrieben und bedeutet im amerikanischen Slang auch Schwanz. Also Heavies mit Tiefgang, kann es so was geben?
Louder Than God dagegen werfen solche interpretatorischen Probleme erst gar nicht auf. Die sind recht einfach gebaute Epigonen, nicht unsympathisch, aber wie die meisten Epigonen halt belanglos. Auf ihren ersten Demo-Kassetten stellten sie dreisterweise das Cover der ersten LP der australischen Kult-Combo Radio Birdman nach und lehnten sich auch musikalisch mächtig an deren vorwärtsgetriebenen Rock'n'Roll an. Auf ihrer ersten, einfallsreich „Louder Than God“ betitelten Mini-LP (LSD, EFA) befinden sich fünf Songs, die allerdings eindeutig mehr in die Richtung der klassischen Siebziger marschieren. Durchgängig gute Rocker mit einschlägigen Anleihen beim Mid -Siebziger-Hardrock, die allerdings mit den positiven Errungenschaften der Achtziger verquickt werden. Also ein Weg, den in den letzten Jahren viele gingen, aber Innovation ist garantiert nicht das Anliegen von Louder Than God. So jung kommen wir nicht mehr zusammen, und deshalb sind die unvermeidlichen Gitarrensoli (70) angenehm kurz gehalten (80) und die Rhythmik der Riffs (70) steht im Vordergrund im Gegensatz zum reinen Experiment Gitarrensound (80). „Doom„, das letzte Stück, ist, wie der Titel schon andeutet, ein schwerer Rocker mit dickblütigem Blues -Einschlag, dessen Riff auch von AC/DC oder Thin Lizzy stammen könnte. Einziger Unterschied ist hier die reduzierte Trio-Besetzung, die automatisch einen dünneren, aber dafür markanteren Gitarrensound schafft. Überhaupt der Gitarrensound. Ich sage nur Marshall-Verstärker. Bei AC/DC wurde damals gleich eine ganze Batterie hintereinander geschaltet (waren zwar nicht alle an, sah aber besser, weil mächtiger aus), und mit der Renaissance dieses Siebziger -Hardrocks kehrt auch das kultmäßige Verhältnis der Rocker zum Marshall und seinem klassisch-schneidenden Sound zurück.
Ansonsten keine Experimente, nur bei einem Stück eine etwas verfremdete Stimme. Das ist Rock, Mann, nicht mehr, eher weniger, und so will er auch verstanden werden. Was er soll, weiß er nicht, er hat keinen Anspruch, nur sich selbst. Spaß natürlich, oder was solche Leute unter Spaß verstehen, auch wenn der manchmal (wie bei Bon Scott) tot im Sitz eines Autos endet. Sex and drugs and rock'n'roll, party all night long. Daß das immer noch funktioniert, obwohl es schon fast 40 Jahre alt ist, daß es immer noch Nachwuchs gibt, den „live hard, die young“ fasziniert, ist eigentlich nur komisch. Bedauern sollen das andere, denn die hier haben, was sie wollen, und wenn es nur eine Pose ist.
Thomas Winkler
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