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Turnhallen erste Station für Albaner

■ Gestern 10.45 Uhr Ankunft am Bahnhof Zoo / Von 86 angekündigten Flüchtlingen fehlten dreißig / Rotes Kreuz übernahm Versorgung

West-Berlin. Über der Neuköllner Elbestraße liegt eine trägesonntägliche Nachmittagsruhe. Nichts deutet darauf hin, daß in der Turnhalle der dort befindlichen Sonderschule ein Teil der südosteuropäischen Flüchtlinge Quartier bezogen hat. Auf dem Schulhof hat der Dolmetscher, Herr Rafath, einige Männer in Trainingsanzügen um sich gescharrt und erteilt Anweisungen. Müde hören sie ihm zu. Die Strapazen stehen den Menschen noch immer im Gesicht geschrieben. Plötzlich wendet sich Rafath von seinen Schutzbefohlenen ab und spricht die taz-Reporter an: „Hier bitte keine Fotos, die Leute wollen nicht fotografiert werden.“ Rafath, ein korpulenter Kosevo-Albaner, zeigt sich konsequent - auch Gespräche mit den Ankömmlingen will er nicht zulassen. Lediglich ein Blick in die Halle ist erlaubt, wo unter Turnringen und Basketballnetzen Reihen von Doppelstockbetten stehen. Als die Gruppe sich zum Einkleiden begibt - viele sind nur mit dem in Berlin angekommen, was sie am Leibe trugen - schert ein junger Mann aus und sagt in gebrochenem Deutsch: „Sie Zeitung? Schreiben Sie, daß es nicht stimmt, daß die Flüchtlinge fast alles Analphabeten sind. 99 Prozent der Albaner können lesen und schreiben.“ Dann erscheint wieder Rafath, der junge Albaner begibt sich zum Kleiderempfang.

Im Quartier Stuttgarter Straße - ebenfalls eine Schulturnhalle - befinden sich 27 der in Berlin angekommenen Flüchtlinge. Auch hier herrscht eine erschöpfte Ruhe, einige Männer kommen gerade unter der Dusche hervor und betrachten unsicher die ihnen ausgehändigten Ein-Weg-Rasierapparate. Andere haben die vom DRK ausgegebenen Kleidungsstücke bereits anprobiert, ein mattes Freudenlächeln zeichnet sich auf ihren Gesichtern ab. Noch zu entkräftet sind die meisten von ihnen, um sich über das glückliche Ende ihrer strapaziösen Flucht vollends bewußt zu werden.

Gestern Vormittag trafen sie gegen 10.45 Uhr am Bahnhof Zoo ein. Von den ursprünglich erwarteten 86 Flüchtlingen erreichten lediglich 56 West-Berlin. Während der Sprecher der Sozialverwaltung, Thomas-Peter Gallon, keine Erklärung für die Differenz zu geben vermag, sprachen Mitarbeiter des Roten Kreuzes gegenüber der taz davon, daß ein Teil der Flüchtlinge bereits in Heidelberg ausgestiegen sei, um sich einer dringenden medizinischen Behandlung zu unterziehen.

Wie von DRK-Mitarbeiter Karl-Heinz Hoffmann zu erfahren war, ist zunächst ein vierzehntägiger Aufenthalt der Flüchtlinge in den Schulturnhallen vorgesehen. Danach will man versuchen, sie in Wohnheimen unterzubringen. Sozialverwaltungssprecher Gallon erklärte laut Agenturberichten, daß für die Albaner in ihren Pässen zunächst eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 31. Juli eingetragen ist, die Verlängerung werde vom Landeseinwohneramt bearbeitet. Wie es hieß, wollen die meisten in Berlin bleiben - nur wenige wollen in die USA weiterreisen.

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